Arm trotz Arbeit – das sind die Risikobranchen

Jeder zehnte Hauptverdiener im Norden ist von Armut bedroht – und besonders groß ist das Risiko im Hotel- und Gastgewerbe. „Damit leiden auch zahlreiche Familien unter der kargen Bezahlung im Lohnkeller der Nation. Die Arbeitgeber sollten aufhören, gegen den Mindestlohn zu polemisieren. Für viele Arbeitnehmer in Niedriglohnbranchen sind deutlich höhere Löhne und faire Tarifverträge die einzige Chance, den Gang zum Sozialamt zu vermeiden“, sagte Uwe Polkaehn, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes Nord (DGB Nord).

Berechnungen zeigen: Das Armutsrisiko ist in den Branchen der norddeutschen Wirtschaft unterschiedlich hoch.

In der Energieversorgung, bei Banken und Versicherungen, in der öffentlichen Verwaltung, der chemischen Industrie oder im Fahrzeug- und Maschinenbau sind weniger als 3 Prozent der Beschäftigten armutsgefährdet.

Am Bau sind es gut 8 und im Handel schon 12,5 Prozent.

Stark überdurchschnittlich betroffen sind Beschäftigte im Bereich Kunst, Unterhaltung und Erholung sowie Beschäftige in Heimen und in Sozialeinrichtungen, wo jeder fünfte Hauptverdiener unter der Armutsgefährdungsschwelle liegt.

Am höchsten ist die Risiko-Quote im Gastgewerbe: 35,8 Prozent der Hauptverdiener, die in Gastronomie, Catering oder Hotelbereich arbeiten, sind von Armut bedroht.

Der DGB Nord stützt sich auf Untersuchungen und Zahlen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung (Stand 2012). Der Armutsdefinition zufolge stehen den betroffenen Beschäftigten und ihren Familien weniger als 60 Prozent des mittleren bedarfsgewichteten Nettoeinkommens zur Verfügung.

Uwe Polkaehn: „Die Behauptung aus dem Arbeitgeberlager, es handele sich bei den Niedriglöhnern häufig nur um Zuverdiener, die nur einen kleineren Beitrag zum Haushaltseinkommen leisteten, trifft nicht zu. Wenn fast jeder zehnte Hauptverdiener, 9,5 Prozent, von Armut bedroht war, ist das ein Alarmzeichen und ein gutes Argument, die Lohnspirale endlich nach oben zu drehen. Ausnahmen und Abstriche vom gesetzlichen Mindestlohn wären daher völlig falsch – denn auch diese untere Lohngrenze schützt ja vor Armut nicht. Nötig ist eine neue Ordnung der Arbeit, mit allgemeinverbindlichen Tariflöhnen, von denen man wirklich leben kann.“

Ein Fallbeispiel aus dem Norden

Das niedrige Einkommensniveau im Gastgewerbe hat enorm hohe Armutsrisikoquoten der Haupteinkommensbezieher in dieser Branche zur Folge, welche auch die Fachkräfte erreichen. Dies kann anhand einer Hotelfachfrau an der Mecklenburgischen Seenplatte gezeigt werden. Sie ist verheiratet und hat eine Tochter im Alter von 15 Jahren, welche das Gymnasium besucht. Ihr Mann erwirtschaftet kein eigenes Einkommen. Ihr Stundenlohn liegt bei nur 8,78 Euro. Bei einer Arbeitszeit von 39,8 Stunden in der Woche kommt sie auf einen Bruttolohn von 1.413 Euro. Nach den Abzügen für die Sozialversicherung verbleibt ein Netto von etwa 1.124 Euro, welches zuzüglich Kindergeld und Wohngeld zu einem verfügbaren Einkommen von 1.372 Euro führt. Letztendlich muss die Hotelfachfrau in diesem Beispiel aber ebenfalls aufstockende Leistungen nach SGB II beantragen, ohne dass sie dadurch der Arbeitsarmut entrinnen könnte.

Zusammenfassend lässt sich auf der Basis der Modellrechnungen feststellen, dass nicht nur atypisch Beschäftigte, sondern auch Vollzeitbeschäftigte beiderlei Geschlechts in verschiedenen Regionen, Haushaltskonstellationen, Wirtschaftszweigen in Armut geraten können. In Anbetracht der Tatsache, dass die Stundenlöhne in allen Fällen über der Marke von 8,50 Euro liegen, lässt sich schließen, dass der vereinbarte gesetzliche Mindestlohn ab 2015 nur ein erster Schritt auf dem richtigen Weg ist.

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.