
„Wir sind so weiblich wie nie!“ Mit dieser Feststellung begrüßte Katja Karger, Hamburgs DGB-Vorsitzende, die rund 50 Teilnehmenden an der Fachtagung zum Thema „Arbeitsschutz in der Arbeit mit Menschen“. Tatsächlich waren rund die Hälfte der Betriebs- und Personalräte weiblich. Auch ein Zeichen dafür, dass sich immer mehr Frauen dem Thema Arbeitsschutz in ihren Gremien annehmen. Gut so!
Gemeinsam mit Gudrun Nolte, Leiterin des Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KDA), führte Karger in einem kurzen Gespräch in das Thema ein. Beide betonten zu Anfang, dass Arbeit mit Menschen häufig mit besonderen Belastungen verknüpft sei, auch emotional. Deswegen müssten sich Unternehmen und Politik dem Schutz von Beschäftigten bei der Arbeit mit Menschen verstärkt annehmen.
Unternehmer/-innen wollen Arbeitskraft und Leidenschaft ihrer Beschäftigten
Nolte-Wacker, selbst früher Krankenschwester, machte deutlich, dass Betriebe viel mehr Beratungsangebote, Supervisionen oder andere Unterstützung zur Verfügung stellen sollten. Karger forderte, früher anzusetzen, damit es möglichst wenig zu Überlastungssituationen käme. Unternehmer/-innen wollten heutzutage ihre Beschäftigten nicht nur mit ihrer Arbeitskraft, sondern auch mit ihrer Leidenschaft. Das sei eine andere Form der Ausbeutung, die man nicht einfach hinnehmen dürfe und auf die aufmerksam gemacht werden müsse.
Diese Themen spiegelten sich auch in den Fachvorträgen wider, die danach folgten.
Anke Thorein aus der ver.di Bundesverwaltung brachte das Problem der Mehrfachbelastung ins Spiel und forderte, das Arbeitsweltbild anzupassen. Zwei Drittel der Beschäftigten arbeiteten im Dienstleistungsbereich und haben Kontakt zu Menschen. Das sei aber in der öffentlichen Wahrnehmung noch nicht angekommen. Hier regiere beim Thema Arbeitsschutz oftmals immer noch das Bild des klassischen Industriearbeiters. Aufklä-rungsarbeit sei deswegen dringend nötig, auch um die Bedeutung von Interaktionsarbeit oder Emotionsarbeit klar zu machen.
Dr. Rolf Schmucker vom DGB stellte Ergebnisse aus dem DGB-Index Gute Arbeit vor. Ein paar Ausschnitte:
- 63 Prozent der Beschäftigten arbeiten sehr häufig oder oft im direkten Kontakt mit Kund/-innen, Patient/-innen, Klient/-innen etc.
- 35 Prozent der interaktiv Arbeitenden müssen bei ihrer Arbeit sehr häufig oder oft ihre Gefühle verbergen.
- 18 Prozent der interaktiv Arbeitenden berichten davon, in ihrer Arbeit sehr häufig oder oft Konflikte oder Streitigkeiten mit Kundschaft etc. zu haben.
- 17 Prozent der interaktiv Arbeitenden erleben im Umgang mit Kundschaft etc. sehr häufig oder oft psychisch belastende Erlebnisse.
Dennoch gibt es viel zu selten betriebliche Angebote, um mit solchen Situationen umzugehen. Beschäftigte müssen mit ihren Erlebnissen allein klar kommen. Dementsprechend fiel auch sein Fazit aus: „Eine geringe Wertschätzung spiegelt sich sowohl bei der Arbeitsgestaltung als auch dem Einkommen wider. Notwendig ist eine Aufwertung der Arbeit mit Menschen – sowohl aufgrund der besonderen Anforderungen als auch wegen ihrer gesellschaftlichen Bedeutung.“
Margrit Weihrich, Sozialökonomin aus Augsburg, stellte Interaktionsarbeit und die Belastungen, die dadurch entstehen können, anhand konkreter Beispiele und wissenschaftlicher Untersuchungen vor. Ihr geht es um die Humanisierung der Arbeit an und mit Menschen. Ihr Konzept umfasst viele Vorschläge, wie die Voraussetzungen im Arbeitsalltag sein müssen. So hob sie den Wert von Mitbestimmung hervor. Beschäftigte müssen in die Gestaltung von Arbeitsprozessen aktiv eingebunden werden. Auch das Thema Digitalisierung streifte sie dabei: Die Technikentwicklung und –gestaltung müsse Interaktionsarbeit unterstützen, nicht erschweren oder ersetzen. Sie warnte aber auch davor, „dass wir Emotionen auslagern. Nein, wir müssen die Beschäftigten professionalisieren, damit sie mit belastenden Situationen besser umgehen können.“
Dr. Otto Penz vom Institut für Soziologie an der Universität Wien sprach über das Thema „Gefühle als Ware und Machtressource im Erwerbsleben“ und beleuchtete dabei vor allem die politische Ebene. Seine These: Unter neoliberalen Verhältnissen werden Arbeitskräfte auf neuartige weise regiert, indem ihre Gefühlsarbeit ausgebeutet wird. Aufklärungsarbeit darüber sei dringend nötig. Das dürfe nicht einfach als Normalität hingenommen werden.
Den Abschluss des Vormittags machte Michael Gümbel von der Anlaufstelle Perspektive Arbeit und Gesundheit (PAG), der über „Interaktionsarbeit, Arbeitsschutz und Mitbestimmung – Gestaltungsmöglichkeiten der Interessenvertretungen“ sprach.
Seine Erfahrung aus vielen Beratungsgesprächen: „Viele, die zu uns kommen, verstehen erstmal gar nicht, was ist eigentlich mit mir los? Sie wissen nur, dass es ihnen schlecht geht. Sie müssen dahin kommen, ihre Belastungen besser selber erkennen zu können und sie auch nicht als einfach gegeben wahrzunehmen.
Betriebs- und Personalräten, die das Thema in ihre Unternehmen und Arbeitsstätten bringen wollen, empfiehlt er als ersten Schritt, Betriebs- oder Personalversammlungen dazu durchzuführen. Auf diesem Wege könne ins Thema eingeführt werden und in weiteren Schritten über Beteiligung der Kolleg/-innen und die Diskussion mit dem Arbeitgeber konkrete Schritte eingeleitet werden.
Das Thema braucht mehr Öffentlichkeit
Am Nachmittag folgten die Workshops, in denen die Themen des Vormittags reflektiert und anhand von eigenen Erfahrungen vertieft wurden, um Handlungsmöglichkeiten zu erkennen. In der Abschlussrunde wurde rückblickend deutlich: Auch wenn es bereits viele Studien zum Thema gibt, ein Patentrezept, wie mit Überlastungssituationen bei der Arbeit mit Menschen umzugehen sei, gibt es nicht. Umso wichtiger sei es, dass das Thema mehr Raum in der öffentlichen Diskussion bekommt und die Wertschätzung der Arbeit mit Menschen steigen müsse.
Hier die Präsentationen: Schmucker Interaktion.pdf (PDF, 1 MB) Weihrich_Interaktionsarbeit.pdf (PDF, 1 MB) Guembel Interaktive Arbeit.pdf (PDF, 1 MB)