Am Gängeviertel scheiden sich die Geister

Armutszeugnis für Stadtentwicklung und Kultur“, „besonnenes Verhalten“ oder „fahrlässiger Umgang mit Hamburgs Bausubstanz“? In der Debatte zum Gängeviertel schieden sich in der Aktuellen Stunde die Geister. Wir dokumentieren die Positionen – urteilen Sie selbst!

Die SPD-Bürgerschaftsfraktion hat den Umgang mit dem historischen Gängeviertel als „Armutszeugnis für die Hamburger Stadtentwicklungspolitik“ bezeichnet. Die Besetzung der Häuser im Gängeviertel durch Künstler habe gleichzeitig die Folgen von Defiziten in der Kulturpolitik aufgezeigt. „Künstler brauchen bezahlbare Ateliers. Daran mangelt es aber gewaltig in der Hansestadt“, sagte SPD-Kulturexpertin Christel Oldenburg am Mittwoch. Sie sprach sich für Erhalt und Sanierung des Viertels sowie für mehr bezahlbaren Arbeitsraum für Künstler im Innenstadtbereich aus.

„Der Senat stellt die Stadt in einem Wunschbild gern als Kulturmetropole und Zentrum der Kreativwirtschaft dar. Realität ist aber, dass viele Künstler wegen hoher Atelierkosten ihre Kunst gar nicht ausüben können und ihnen nichts anderes übrig bleibt, als aus Hamburg abzuwandern. Berlin freut sich über das kreative Potential“, sagte die SPD-Abgeordnete.

Sie forderte eine klare Aussage, wie lange die Künstler die Häuser im Gängeviertel noch nutzen können. Das entscheidende Problem sei der Vertrag mit dem niederländischen Investor Hanzevest. „Seit die Immobiliengruppe das Viertel 2006 gekauft hat, ist nichts geschehen. Es sieht so aus, dass der Investor nach dem Vertrag, den der Senat ausgehandelt hat, das Recht hat, große Teile des Ensembles abzureißen. Hier muss der Senat unmissverständlich sagen, was Sache ist. Wenn es stimmt, dass der Investor kein Geld hat, den Vertrag zu erfüllen während der Senat das Recht hat, den Vertrag zu kündigen, dann muss das schnellstens geschehen“, sagte Oldenburg.

Sie forderte eine Sanierung der Gebäude. „Wenn der Senat eine Lösung zugunsten des Gängeviertels und der Künstler will, muss er schnell erklären, wie es weitergehen soll“, sagte die SPD-Abgeordnete. Sie warnte den Senat, aus wahltaktischen Grünen eine kurzfristige Genehmigung zur Nutzung der Räume zu erteilen, um später doch die Abrissbagger rollen zu lassen.

Gümbel: „Künstlerische Zwischennutzung muss vertraglich abgesichert werden“

Die GAL-Bürgerschaftsfraktion hat das besonnene Verhalten der Gängeviertel-Initiative („Komm in die Gänge“) und der Behörden gelobt.

Die vom Senat angebotene Zwischennutzung für das Ensemble mit der Herrichtung der Erdgeschosse sei unter den gegebenen Bedingungen eine sehr gute Lösung. „Ich appelliere an die Gängeviertel-Initiative, die ausgestreckte Hand der Stadt zu ergreifen und einer vertraglichen Lösung für die Zwischennutzung zuzustimmen“, sagte die kulturpolitische Sprecherin der GAL-Fraktion, Eva Gümbel, mit Blick auf die Bürgerschaftssitzung am Mittwoch.

Handlungsräume für eine dauerhafte Lösung erhalte Hamburg erst wieder, wenn der Vertragspartner den Zahlungsverpflichtungen nicht nachkomme. Der Vertrag wurde in der vorigen Legislaturperiode geschlossen.

Daniel Richter, Schirmherr der Initiative „Komm in die Gänge“, stehe für die Bedeutung der Subkultur, sagte Gümbel: „Im Gängeviertel finden wir derzeit den Humus, aus dem die kreative Stadt erwächst. Unbequem und kreativ, kritisch und innovativ: wichtig und anregend für die Stadt und ihre Kulturszene.“

Der Maler Daniel Richter, ehemaliger Hausbesetzer der Hafenstraße, ist heute der kreative Superstar der modernen Kunst und Botschafter Hamburgs in der Welt.

Farid Müller, medienpolitischer Sprecher der Fraktion, sagte dazu: „Für die Mitte Hamburgs ist die weitere Entwicklung des Gängeviertels eine zentrale Frage. Ich setze mich daher dafür ein, dass jeder Spielraum jenseits von Investoreninteressen genutzt wird, um dieses Viertel zu erhalten und mit Kreativität zu füllen.“

Norbert Hackbusch: Fahrlässiger Umgang mit Hamburgs Bausubstanz

„Was gefällt Ihnen an einer Stadt?“ eröffnete Norbert Hackbusch seine heutige Rede bei der Aktuellen Stunden der Hamburgischen Bürgerschaft zur Besetzung im Gängeviertel. Dabei kritisierte der kulturpolitische Sprecher der Fraktion DIE LINKE den fahrlässigen Umgang Hamburgs mit seiner historischen Bausubstanz scharf und forderte eine glaubwürdige und dauerhafte Lösung für die Künstler im Gängeviertel.

Die Besetzung der letzten verbliebenen Häuser im Gängeviertel habe noch einmal auf eines der wenigen verbliebenen historischen Gebiete hingewiesen. Hackbusch stimmte ausdrücklich den verschiedenen Kommentatoren zu, die von einen „Denkmalpflegeskandal“ und einem „Armutszeugnis für die Stadt Hamburg“, gar über die „Freie und Abriss-Stadt“ Hamburg gesprochen haben.

„Nicht nur dem Senat gefällt die Vorstellung von einer kreativen, lebendigen Stadt. Aber eine lebendige, kreative Stadt darf nicht auf dem Papier zur Marke hochgejubelt und in der Realität konsequent boykottiert werden“, kritisierte Hackbusch. „Die Reaktion der Stadt auf die aktuelle Besetzung im Gängeviertel ist unbefriedigend, ja eine Frechheit. Ich will Ihnen das begründen: Das Gängeviertel wurde besetzt, um auf zwei Umstände hinzuweisen: die Verteidigung der letzten historischen Ecken und auf die schlechte Situation als Künstler in dieser Stadt – die übrigens auch damit zu tun hat, dass diese Stadt zu wenig Freiräume zulässt.“

Die vorläufige Nutzung der Erdgeschossflächen der Gängeviertelgebäude in der Öffentlichkeit großzügig als „wertvolles Zwischenergebnis“ angeblicher Verhandlungen mit den KünstlerInnen zu verkaufen sei unhaltbar und Hackbusch forderte den Senat auf das Endergebnis als Perspektive für die Kulturschaffenden konkret zu benennen: „Wenn dabei am Ende einmal mehr wieder nur einige Monate Zwischennutzung herausspringen sollten wäre es mir allerdings auch eher peinlich das zuzugeben. Diese Strategie per Zwischennutzungsangeboten den Anschein zu erwecken man würde sich um die Kulturschaffenden der Stadt kümmern, während man sie gleichzeitig konsequent im Zustand der Perspektivlosigkeit hält, muss endlich aufhören.“

„Die Bausubstanz verfällt mit jedem Tag, die Senatorin weist auf die Auflagen für den Investor hin und in diesen Tage weiß jeder, dass eine Baugenehmigung für den Investor das Aus für das historische Gängeviertel bedeutet. Der Senat scheint im Zweifelsfall in Kauf zu nehmen das Gelände weiterhin vergammeln zu lassen, den Winter abzuwarten damit Feuchtigkeit und Kälte den Rest zerstören. Das darf nicht geschehen. Die Investoren haben versagt, dass Gelände angemessen zu entwickelt. Der Senat hat Mist gemacht und sollte den jetzt korrigieren. Im Prinzip ist die gegenwärtige Situation sogar ein großzügiges Angebot an den Senat: Unter Beweis zu stellen, dass er die Courage besitzt aus seinen Fehlern zu lernen sich für das historische Erbe der Stadt und für die Erhaltung und Förderung der Kunst und Kultur, die in Hamburg entsteht zu entscheiden. Es ist nicht zu spät – und die Künstler zeigen, dass ein anderer Weg möglich ist.“

Zum Schluss seiner Rede lud Norbert Hackbusch die Senatorin und Abgeordneten für den Abend ins Gängeviertel ein: „Ich gebe einen aus: Selter, Bier oder Sekt.“

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