Als „nicht ausbildungsreif“ abgestempelt

Die Hamburger Ausbildungsbilanz 2012 liegt vor. Für die ‚Spitzenbewerber‘ mögen goldene Zeiten auf dem Ausbildungsmarkt angebrochen sein. Doch viele andere junge Menschen stehen nach der Schule immer noch ohne vernünftige Zukunftsperspektive da, sagt der DGB.

„Und dafür tragen auch die Betriebe ein Stück der Verantwortung: Die Zeit der Besten-Auslese ist längst vorbei“, so Hamburgs DGB-Vorsitzender Uwe Grund: „Deshalb ist nicht zu verstehen, warum trotz aller Jammerei über zu wenige BewerberInnen und den angeblichen Fachkräftemangel die Zahl der unversorgten AusbildungsanwärterInnen mit 797 den höchsten Stand der letzten Jahre erreicht und im Vergleich zum Vorjahr sogar um 154,6 Prozent zulegt hat. Da werden vermeintlich schwächere Jugendliche einfach aussortiert, ohne ihnen eine faire Chance zu geben. Dabei gibt es extra ausbildungsbegleitende Hilfen der Bundesagentur für Arbeit, die Unternehmen für zusätzliche Kosten in Anspruch nehmen könnten. Doch das Problem setzt schon früher an, wenn tausende Jugendliche als nicht ausbildungsreif abgestempelt und in Übergangsmaßnahmen abgeschoben werden.“

Die Geschäftsbilanz der Arbeitsagentur weist 10.625 gemeldete Berufsausbildungsstellen aus. Dies ist ein deutlicher Anstieg (+11,3 Prozent oder 1.075) zum Vorjahresergebnis. Bis auf 169 konnten alle Hamburger Lehrstellen besetzt werden. Einen starken Zuwachs gibt es auch auf der Bewerberseite: 8.338 Hamburger suchten über die Berufsberatung einen Ausbildungsplatz, das sind 11,3 Prozent oder 845 mehr als im Vorjahr.

Uwe Grund weist darauf hin, dass in Hamburg nur jeder vierte Jugendliche aus Stadtteilschulen, Förderschulen und Privatschulen laut einer eigenen Erhebung der Schulbehörde den direkten Übergang in eine duale Berufsausbildung schafft. Der Anteil der „AltbewerberInnen“, die bereits 2011 oder früher die Schule erfolgreich abgeschlossen haben, beträgt über 50 Prozent. Den Hamburger Senat und die Schulbehörde rief er dazu auf, möglichst rasch die Pläne zu einer Verbesserung des Überganges von Schule in den Beruf umzusetzen.

Uwe Grund: „Machen wir uns nichts vor: Bei den betrieblich gemeldeten Ausbildungsstellen haben wir mit 10.090 nun endlich wieder den Stand von 2002 erreicht. Das ist gut und schön, darauf ausruhen dürfen wir uns noch lange nicht.“

Die Agentur für Arbeit Hamburg, die Behörde für Schule und Berufsbildung, die Handelskammer Hamburg und die Handwerkskammer Hamburg haben eine überwiegend positive Bilanz über die Situation am heimischen Ausbildungsmarkt gezogen.

Sönke Fock, Vorsitzender der Geschäftsführung in der Agentur für Arbeit Hamburg, begrüßt die stärkere Inanspruchnahme seiner Beratungs- und Vermittlungsleistung, allerdings zeigt er sich mit der hohen Anzahl unversorgter Bewerber höchst unzufrieden: „Zu viele Jugendliche und auch ihre Eltern erkennen nicht, dass die Berufsorientierung und der Berufswahlprozess eine detaillierte zeitliche Planung erfordern, die mindestens zwei Jahre vor dem Schulabschluss beginnen muss. Neben dem Faktor Zeit unterschätzen sie die starke Bewerberkonkurrenz aus dem Hamburger Umland. Gerade diese Bewerberinnen und Bewerber zeigen sich gut vorbereitet und besonders motiviert. Es muss uns in Hamburg gelingen, den Übergang von der Schule in den Beruf nahtlos zu gestalten, mit Unterstützung der Berufsberatung, der Schulen, der Eltern und der Hamburger Wirtschaft. Schließlich können Schulabgänger in Hamburg unter 350 verschiedenen Ausbildungsberufen auswählen. Mit der Jugendberufsagentur in den Bezirken Mitte und Harburg steht zudem ein Angebot zur Verfügung, um Hamburger Jugendliche intensiv auf den Weg in den Beruf zu begleiten. Hoch erfreut bin ich über die Ausbildungsbereitschaft der Hamburger Unternehmen, denn jede einzelne Lehrstelle ermöglicht einen individuellen und qualifizierten Berufseinstieg, der den weiteren Erwerbsverlauf entscheidend prägt. Deshalb müssen alle Akteure des Hamburger Ausbildungsmarktes sich eng vernetzen und gemeinsam agieren: Jeder Jugendliche wird gebraucht.“

Die Handelskammer Hamburg verzeichnet zum Stichtag 31. Oktober bei den eingetragenen Ausbildungsverhältnissen einen leichten Rückgang gegenüber dem Stand vor einem Jahr. Dazu sagte Dr. Thomas M. Schünemann, Vizepräses der Handelskammer Hamburg: „9.697 neue Ausbildungsverträge konnten wir in das Lehrstellenverzeichnis unserer Handelskammer eintragen. Das sind 3,84 Prozent weniger als im Vergleichsmonat des Vorjahres. Grund dafür ist allerdings nicht ein Mangel an Lehrstellen oder etwa nachlassendes Ausbildungsengagement unserer Betriebe, sondern der zunehmende Mangel an Bewerbern bzw. das Missverhältnis zwischen den angebotenen Ausbildungsplätzen und den Wünschen der Jugendlichen. So konnten dieses Jahr über 300 offene Ausbildungsplätze aus unserer Online-Lehrstellenbörse leider nicht besetzt werden. Für das Ausbildungsjahr 2013 stehen bereits 1.900 Ausbildungsplätze zur Verfügung.“

Im Hamburger Handwerk wurden 2.526 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen. Damit steigerten die Ausbildungsbetriebe zum Stichtag 31. Oktober das gute Vorjahresergebnis von 2.518 leicht um 0,3 Prozent oder 8 Verträge. Hjalmar Stemmann, Vizepräsident der Handwerkskammer Hamburg, erläutert dazu: „Die Betriebe haben weiter auf hohem Niveau ausgebildet, obwohl sich in fast allen Gewerken weniger Jugendliche beworben haben als in den Jahren zuvor. So gut wie 2012 waren die Lehrstellenchancen im Handwerk seit Jahren nicht mehr. Und die Entwicklung bleibt dynamisch: Unsere Lehrstellenbörse listet schon jetzt 395 Ausbildungsplätze für 2013, das sind 126 mehr als vor einem Jahr. Den Weg zum Traumberuf im Handwerk gehen auch immer mehr Jugendliche mit Fachhochschulreife oder Abitur. Deren Anteil an den neuen Auszubildenden stieg 2012 auf einen Rekordwert von 14,9 Prozent. Wir freuen uns, dass gut qualifizierte junge Leute das Handwerk als moderne Berufswelt für sich entdecken. Diesen Trend werden wir mit unseren Angeboten zur Berufsorientierung und mit unserer Image-Kampagne weiter fördern.“

13.775 Ausbildungsanfänger sind im Schuljahr 2012/13 an einer staatlichen Berufsschule in Hamburg gemeldet (vorläufige Zahlen aus Herbsterhebung der Behörde für Schule und Berufsbildung). Damit ist die Zahl der Ausbildungsanfänger erneut auf einem hohen Niveau, wenn auch um 2 Prozent leicht rückläufig. Thomas Schröder-Kamprad, Leiter des Amtes für Weiterbildung (Behörde für Schule und Berufsbildung), sagte hierzu: „Jugendlichen garantiert die duale Ausbildung ein solides Fundament für ihr zukünftiges Berufsleben und gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Unser Ziel ist es deswegen, Jugendliche nach der Schule auf direktem Weg in die Berufsausbildung zu bringen. Damit dies besser gelingt, baut Hamburg die Berufsorientierung für Schülerinnen und Schüler an Stadtteilschulen weiter aus und bietet Jugendlichen ohne Anschlussperspektive in der dualisierten Ausbildungsvorbereitung und in der Berufsqualifikation gute Chancen, zügig in duale Ausbildung überzugehen. Neben konkreten Maßnahmen ist jedoch auch ein Bewusstseinswandel nötig. Schule, Betriebe, Familien, und nicht zuletzt die Jugendlichen selbst, müssen wieder stärker in Betracht ziehen, dass auch jüngere Schulabgänger eine Ausbildung beginnen. Mit der Jugendberufsagentur ziehen alle Partner an einem Strang, um Jugendlichen beim Übergang von der Schule in die duale Berufsausbildung zu unterstützen.“

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.