Als „streitbaren Geist und wertvollen Impulsgeber für die Gesellschaft“ hat Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig den Schriftsteller Günter Grass gewürdigt: „Sie bleiben hoffentlich noch lange ein streitbarer Geist, der die Auseinandersetzung nicht scheut.“ Grass ließ sich nicht lange bitten:
Der Schriftsteller Günter Grass übt weiterhin scharfe Kritik an der israelischen Regierung. In der Sendung „Wickerts Bücher“ auf NDR Kultur verteidigte Grass zugleich sein umstrittenes Gedicht „Was gesagt werden muss“ mit den Worten: „Israel ist eine Atommacht außerhalb jeder Kontrolle. Sämtliche Resolutionen von Seiten der UNO werden missachtet. Israel ist eine Besatzungsmacht und betreibt seit Jahren Landraub, vertreibt Menschen, sieht sie als Menschen zweiter Klasse an. Da sind rassistische Momente in Israel; das Land hat sich in der Beziehung zum Unguten verändert! Das betrübt mich. Und das sollte jeden Freund Israels betrüben, so wie es viele Israelis betrübt. Also sollte man das aussprechen dürfen.“
Mit Vehemenz verwahrt sich Grass dabei gegen den Vorwurf des Antisemitismus: „Ich finde, das Beste, was man als Freund Israels – des Staates Israel und der Menschen dort, und ich sehe mich als ein Freund Israels – diesem Land angedeihen lassen kann, ist, es zu kritisieren. Die verweigerte Kritik, so eine kritiklose, quasi philosemitische Haltung, ist für mich eine neue Form von Antisemitismus!“
Nach der heftigen Debatte im Frühjahr 2012 gibt Grass seinen Kritikern allerdings in einem Punkt recht: Er hätte seinerzeit deutlicher machen müssen, dass sich seine Kritik gegen die Regierung Netanjahu richte – nicht gegen den Staat Israel. „Das war eine Unachtsamkeit“, so Grass auf NDR Kultur. „Da habe ich Anlass zu Kritik erweckt und da bin ich auch bereit, das zu ändern.“ In seinem jüngst erschienenen Gedichtband „Eintagsfliegen“ findet sich der entsprechende Vers nun in leicht veränderter Form. „Aber in der Tendenz ist das Gedicht geblieben“, beharrt Grass auf seiner alten Position.
Mit Blick auf den Zentralrat der Juden in Deutschland sagt der Autor, er wünsche sich, dass der Zentralrat im Staat Israel „Dinge sieht und ausspricht, die der Kritik würdig sind, sonst macht er sich unglaubwürdig.“ Und Grass betont noch einmal: „Israel hat zu Recht den Anspruch erhoben nach der Gründung mit all den auch schrecklichen Begleitumständen, auch ein normaler Staat neben anderen Staaten zu sein und ist deshalb der Kritik ausgesetzt. Die Regierung ist eine gewählte, kann abgewählt werden. Diese Dinge sind dort in der Verfassung festgeschrieben.“ Also müsse es auch möglich sein, mit der Politik dieser Regierung nicht einverstanden zu sein.
Das Gespräch zwischen Ulrich Wickert und Günter Grass über Israel, über Deutschland und über Literatur sendet ist online nachzuhören unter ndr.de/ndrkultur
Der Literatur-Nobelpreisträger, der am kommenden Dienstag seinen 85. Geburtstag feiert, repräsentiere die deutsche Literatur in der Welt wie derzeit kein anderer, sagte Ministerpräsident Albig heute zum zehnjährigen Bestehen des Günter-Grass-Hauses in Lübeck.
„Sie bleiben hoffentlich noch lange ein streitbarer Geist, der die Auseinandersetzung nicht scheut“, sagte Albig. Grass setze politische Streitgespräche in Gang, die enorm wichtig seien. „Sie wollen gesellschaftliche Debatten anstoßen. Unsere Gesellschaft ist nur dann stark, wenn sie diese Debatten aushält“, so der Ministerpräsident. Er wünsche Grass für die Zukunft Kraft und Ausdauer für weitere Radierungen, Zeichnungen, Skulpturen und Bücher. „Und ich wünsche Ihnen Kraft dafür, auch weiterhinzu sagen, was Ihrer Meinung nach gesagt werden muss“, sagte Albig.
Das Günter-Grass-Haus in Lübeck hat sich nach Auffassung des Regierungschefs als wertvolle Einrichtung in der deutschen Kulturlandschaft etabliert. Mit der Neugestaltung der Dauerausstellung werde es jetzt noch attraktiver für die Besucher.