1,2 Milliarden Euro Baukosten für die Schulreform – diese riesige Zahl wird, sagt SPD-Schulexperte Ties Rabe, heimlich in der Schulbehörde genannt. Offiziell spricht die Behördenleitung von 190 Millionen. Für die Differenz – das zur Größenordnung – könnte man rund 10.000 Dreizimmerwohnungen bauen. Oder 5.000 Grundschul-Klassenräume.
So meldet es die SPD:
Interne Zahlen: Kosten weit höher als bisher bekannt
Rabe: Schulbehörde muss alle Karten auf den Tisch legen
SPD-Schulexperte schreibt an alle Abgeordneten von CDU und GAL
Einen Monat vor der Entscheidung über die Schulreform hat der schulpolitische Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion Ties Rabe den Senat aufgefordert, die intern bereits diskutierten Kosten der Schulreform nicht länger zu verheimlichen. Anlass sind Informationen aus der Schulbehörde. Statt der bisher veranschlagten und öffentlich vertretenen 190 Millionen Euro werden dort Baukosten von 1,2 Milliarden Euro für die Schulreform genannt. „Seit eineinhalb Jahren mogelt sich Senatorin Goetsch um die Frage herum, wie viel Geld ihre Schulreform kostet“, sagte Rabe am Donnerstag. Die Senatorin solle nicht nur – wie geplant – die Bürgerschaftsabgeordneten von CDU und GAL über die brisanten Details der Schulreform informieren, sondern die gesamte Öffentlichkeit. Er wolle nichts unversucht lassen, um Hamburg ein Milliardengrab auf Kosten von Schülerinnen und Schülern zu ersparen, sagte der SPD-Bildungsexperte. Deshalb werde er jetzt alle Abgeordneten von CDU und GAL anschreiben. „Meine Forderung lautet: Wir müssen Geld für Schülerinnen und Schüler sowie besseren Unterricht ausgeben – nicht für das Bauhandwerk“, sagte Rabe.
In Behördenkreisen ist bereits von enormen zusätzlichen Baubedarfen die Rede. „Genannt wird dabei die Summe von 1,2 Milliarden Euro“, sagte Rabe. „Diese brisante Information hat der Senat bislang verschwiegen. Den größten Teil dieser gigantischen Summe verursacht die Schulreform. Das ist zwar gut für die Baubranche, aber schlecht für die Schüler. Denn dieses Geld wird jahrelang für besseren Unterricht und Fördermaßnahmen fehlen.“
Rabe verwies darauf, dass künftig rund 26.000 Schüler der Klassen 5 und 6 von den weiterführenden Schulen an die Grundschulen verlagert werden. „Viele Grundschulen sind dafür zu klein“, sagte Rabe. „76 Grundschulen haben deshalb dringenden Baubedarf angemeldet.“ Die Behörde geht offiziell von 190 Millionen Euro Baukosten aus. 140 Millionen sollte Hamburg, 50 Millionen Berlin aus dem Bundeskonjunkturprogramm finanzieren. Insgesamt sollten damit 990 neue Unterrichtsräume, darunter 435 Klassenräume, gebaut werden (vgl. Drs 19/4086 sowie Pressemittelung der Schulbehörde aus Juli 2009).
Rabe: „Diese Rechnung stimmt hinten und vorne nicht. Die SPD hatte bereits vor drei Wochen gravierende Fehler nachgewiesen. Jetzt tauchen neue Fehler auf.“ So stehe zum Beispiel nur ein kleiner Teil der angeblich 50 Millionen Euro aus dem Bundeskonjunkturprogramm für die Neubauten im Rahmen der Schulreform zur Verfügung. „22,3 Millionen Euro aus dem Programm werden zwar für den Bau von 73 Fachräumen zur Verfügung gestellt. Aber nur in 19 Fällen werden diese neuen Fachräume an Schulen gebaut, wo wegen der Schulreform Fachräume fehlen. In den anderen Fällen werden damit ältere Raumprobleme beseitigt“, sagte Rabe.
Für weitere 25 Millionen Euro aus dem Bundeskonjunkturprogramm wolle der Senat offiziell neue Horträume bauen. „Dieses Geld wird jetzt gleichzeitig als Finanzierung für neue Unterrichtsräume ausgewiesen. Hier gibt der Senat Geld gleich zwei Mal aus, obwohl er es nur einmal hat“, sagte Rabe. „Statt 50 Millionen fließen aus Berlin nur 5 bis 10 Millionen Euro in die Schulreform. Hamburg muss zusätzlich 40 Millionen Euro locker machen, um diese beiden Fehlkalkulationen auszugleichen.“ (vgl. Drs. 19/4087, 19/3743, 19/2250).
Rabe listet weitere Fehler in der Behördenkalkulation auf, die nach seinen Schätzungen weitere Kosten von mehreren hundert Millionen Euro verursachen. So wurden Kosten für die Erweiterung von Turnhallen, Kantinen, Aulen, Pausenhallen und Lehrerzimmern bei den Berechnungen komplett vergessen (Kosten vermutlich 50-100 Millionen). Vergessen wurde auch, dass rund drei Prozent aller Unterrichtsräume von Kindertagesstätten und anderen Einrichtungen genutzt werden und für den Unterricht nicht zur Verfügung stehen (Mehrkosten 70-100 Millionen, vgl. Ds 19/4043). Im Vergleich zu den Empfehlungen der Schulleitungen und Eltern wurde der Raumbedarf von der Behörde um ein Drittel zu niedrig kalkuliert (Mehrkosten 60-100 Millionen). Vergessen wurden auch Kosten für Sanierungen und Renovierungen, die bei den bevorstehenden Nutzungsänderungen an vielen Schulen unweigerlich anfallen werden. Zudem hat die Behörde für die einzelnen Schulen keine konkreten Bauvorhaben durchkalkuliert, sondern den Zubaubedarf am grünen Tisch anhand ungenauer Raumstatistiken geschätzt. Erhebliche Abweichungen sind deshalb wahrscheinlich, wenn die Bauplanung konkret umgesetzt werden muss.
Rabe: „Die enormen Baukosten will der Senat jetzt mit einem Trick vor der Öffentlichkeit verstecken und zukünftigen Generationen aufbürden.“ Dazu solle eine neue Dienststelle mit dem schönen Namen „Sondervermögen“ außerhalb des Hamburger Haushaltes gegründet werden, die sich mit bis zu vier Milliarden Euro verschulden und den teuren Schulbau unbemerkt von Politik und Öffentlichkeit organisieren soll. Auch Privatisierungen von Schulen sind geplant, um die Baukosten der Schulreform zu bezahlen. Rabe: „Das wird kein Sondervermögen, sondern nach der HSH Nordbank Hamburgs zweitgrößtes Milliardengrab. Diese abenteuerlichen Planungen werden 25 bis 30 Jahre lang die Schulpolitik belasten. Bezahlt werden sie durch weniger Geld für Unterricht und Förderung.“