Vom Wert der Mitbestimmung

Rede von Hamburgs DGB-Vorsitzender Katja Karger am 19. April 2017 beim Maiempfang des Hamburger Senats

Das Redemanuskript im Wortlaut:

Ich finde, Liebe Kolleginnen und Kollegen,

der Maiempfang im Rathaus ist genau der richtige Rahmen, um Euch Interessensvertretern – den Betriebs- und Personalräten – zu danken. Denn Ihr tragt die Verantwortung – meist auch noch ehrenamtlich. Und manchmal wiegt diese Verantwortung sehr schwer.
Deshalb gebührt Euch heute unser aller Anerkennung.

Vor einem drei viertel Jahr sagte der damalige Bundespräsident Gauck:
„Deutschland braucht eine mit Leben erfüllte Interessenvertretung der Arbeitnehmer, es braucht Mitbestimmung in seinen Unternehmen! Deutschland braucht die gelebte Demokratie im Arbeitsalltag.“

Sehr geehrter Herr Bürgermeister,
liebe Gäste des heutigen Abends,

Angesichts der vielfältigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen gibt es Einiges, was uns im Moment bewegt und Sorgen bereitet. Die betriebliche Mitbestimmung mag auf den ersten Blick nicht das große Thema sein — Aber bei genauer Betrachtung zeigt sich, dass auch hier die großen Verwerfungen im Kleinen sichtbar werden.
Denn die Mitbestimmung ist ein wesentlicher Baustein für das gesellschaftliche Gleichgewicht.
Wie ist denn darum bestellt?

Von meinen Besuchen bei Euch in den Betrieben und den vielen Gesprächen, die ich mit Euch führe, weiß ich: es ist häufig mühselig und manchmal regelrecht frustrierend. Selbst kleine Erfolge müssen hart erstritten werden. Für Eure Kolleginnen und Kollegen geht Ihr in die betrieblichen Auseinandersetzungen und versucht, Verbesserungen zu erreichen.
Sei es im Einzelhandel, den Gesundheitsbetrieben, der maritimen Wirtschaft oder in der öffentlichen Verwaltung.

Mal geht es um Arbeitsüberlastung, mal um betriebliche Rente oder die Arbeitszeiten – und manchmal sogar um drohende Entlassungen. Wie aktuell bei Blohm & Voss.
Egal welche Branche, egal welches Thema und egal welcher Betrieb –
Unser Recht auf Mitbestimmung müssen wir jeden Tag behaupten und erkämpfen.

Die Zeichen stehen in dieser Hinsicht leider auf Sturm, liebe Kolleginnen und Kollegen. Denn die Entwicklung in der Wirtschaft ist alarmierend: Viele Unternehmer glauben, die Verhinderung von Mitbestimmung sei die richtige Strategie für den internationalen Wettbewerb.
Um Mitbestimmung zu verhindern, werden Unternehmen in Europäische Aktiengesellschaften (SE) umgewandelt oder gleich ausländische Rechtsformen (wie britische Limited) benutzt.

Was sagte der Ryanair-Chef OLeary vor kurzem:
„Gewerkschaften sind überflüssig, die hat man im 19. Jahrhundert gebraucht, um Arbeit-nehmerrechte zu erkämpfen.“
Und diese Haltung nimmt zu, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Konzerne werden so zerlegt, dass die übrig bleibenden Betriebe mitbestimmungsfrei wer-den, meist verlieren sie zugleich die Tarifbindung.
Einen Betriebsrat hat inzwischen weniger als die Hälfte aller abhängig Beschäftigten in Deutschland. Immer häufiger werden Menschen, die einen Betriebsrat gründen wollen, gemobbt, behindert oder gleich mit Kündigung bedroht. In manchen Fällen ist das zu einem Hochrisikoprojekt geworden – ganze Anwaltskanzleien – der Hamburger Naujoks hat traurige Berühmtheit erlangt – haben ein lukratives Geschäftsmodell aus der Bekämpfung von Betriebsräten gemacht.

Ich sage hier ganz deutlich:
Die Unternehmen dürfen nicht zu außer- oder antidemokratischen Inseln werden. Sie sind Teil dieser Gesellschaft und müssen ihren Beitrag für die Gesellschaft leisten. Es geht eben nicht nur um die Rendite der Aktionäre.

Es gibt eine verfassungsgemäße Balance zwischen Ökonomie und Ethik, zwischen Freiheit und Verantwortung sowie zwischen Markt und Staat.
Dafür brauchen wir die betriebliche und unternehmerische Mitbestimmung durch Beschäftigte und Gewerkschaften.

Wo es Mitbestimmung gibt, sind Unternehmen und Betriebe deutlich sozialer und demokratischer. Sie sind produktiver, innovativer und die Investitionen steigen. Die Stärke der deutschen Wirtschaft im europäischen Verbund liegt maßgeblich an der Stärke der Mitbestimmung in den Unternehmen. Mitbestimmte Betriebe zahlen besser, haben bessere Arbeitszeiten und gesündere Arbeitsbedingungen. Wo Beschäftigte mitreden können, ist die Zufriedenheit höher und Herausforderungen wie die demografische Entwicklung oder die Integration von Geflüchteten gelingt besser.
Mit anderen Worten: Mitbestimmung bedeutet gute Arbeit und gutes Leben.

Deswegen ist die Verhinderung von Mitbestimmung, liebe Vertreter/innen der Politik in diesem Saal, kein Kavaliersdelikt oder legitime unternehmerische Freiheit, sondern die Weigerung der Unternehmen, ihre gesellschaftliche und soziale Verantwortung zu übernehmen.

Wir, die Gewerkschaften, Betriebs- und Personalräte, fordern diese Verantwortung regel-mäßig von Vorständen und Geschäftsführungen ein. Dafür brauchen wir aber die Unterstützung und den Schutz des Gesetzgebers.
Denn Wirtschaft und Gesellschaft befinden sich mitten in einem radikalen Umbruch mit noch offenem Ausgang. Globalisierung und Digitalisierung breiten sich rasant aus, gleich-zeitig nehmen Armut und soziale Unsicherheit zu. Rechtspopulismus und Nationalismus er-reichen ein besorgniserregendes Ausmaß, während gleichzeitig die Europäische Union vor einer Zerreißprobe steht.
Wir erleben in der Gesellschaft ein hohes Maß an Verunsicherung, Wut, Resignation und Rückzug. Die Demokratie wird immer häufiger in Frage gestellt und erreicht immer weniger Menschen.
Die Antwort darauf kann aber nur MEHR Mitbestimmung sein – nicht weniger. Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umbrüche müssen im Sinne der Bevölkerung gestaltet werden. Das geht aber nur, wenn die Menschen durch mehr Beteiligung auch ernst genommen werden. Und diese Beteiligung, liebe Kolleginnen und Kollegen, beginnt selbstverständlich dort, wo Menschen tagtäglich zusammen arbeiten.

Dabei brauchen wir nicht nur mehr Mitbestimmung – sondern auch eine Modernisierte. Eine, die dem 21. Jahrhundert und den aktuellen Entwicklungen gerecht wird.
Wir Gewerkschaften haben Vorschläge, wie das gehen kann, unter anderem:
 durch vereinfachte und erleichterte Betriebsratswahlen. Dadurch würde die Reich-weite der Mitbestimmung vergrößert
 Die Begriffe von „Betrieb“ und „Arbeitnehmer“ müssen angepasst werden, damit auch Beschäftigte in Tochterbetrieben und in den modernen sogenannten „Randbelegschaften“ von der betrieblichen Mitbestimmung erfasst werden
 das Bundespersonalvertretungsgesetz hat es nach 40 Jahren endlich verdient aktualisiert zu werden
 und wir brauchen europaweit sichere Rahmenbedingungen für die Mitbestimmung.
Der Europäische Gerichtshof wird noch in diesem Jahr entscheiden, ob das deutsche Mitbestimmungsmodell in der jetzigen Form überhaupt rechtens ist. Gerade hier ist mehr Mitbestimmung dringend nötig: Zum Beispiel für Unternehmen europäischen Rechts eine paritätische Unternehmensmitbestimmung bei mehr als 1.000 Beschäftigten. Das würde die massive Fluchtbewegung aus der Mitbestimmung zumindest eindämmen.

Ohne die notwendige Stärkung und Aktualisierung der Mitbestimmung in Betrieben und Unternehmen riskieren wir nicht nur unsere wirtschaftliche Stabilität, sondern auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wenn der Sinn für die Demokratie verloren geht, verlieren wir mehr als die betriebliche Mitbestimmung.
Deswegen müssen wir die Politik in die Pflicht nehmen. Das Thema Mitbestimmung muss auf die Agenda der nächsten Legislaturperiode in Berlin. Mitbestimmung hat sich als demokratisches Gestaltungsprinzip der sozialen Marktwirtschaft bewährt. Lassen wir sie nicht untergehen. Sorgen wir dafür, dass die Demokratie auch in den Unternehmen gelebt wird und die Mitbestimmung geschützt ist.

Das ist der Grund, Liebe Betriebs- und Personalräte, warum ich Euch heute ganz besonders danke. Ihr habt eine schwierige, aber auch enorm spannende Aufgabe. Ihr habt Einblicke in das betriebliche Geschehen wie wenige andere und Ihr lebt die Demokratie in Unternehmen und Verwaltungen. Für die BR/PR-Wahlen im kommenden Jahr ist es wichtig, dass das so bleibt. Dass der Kurs der Unternehmer, Mitbestimmung zu verhindern, keinen Erfolg hat. Wir Gewerkschaften stehen dabei an eurer Seite und unterstützen euch!
Denn die Demokratie, liebe Kolleginnen und Kollegen, endet nicht am Werkstor!

Ein Gedanke zu „Vom Wert der Mitbestimmung“

  1. Dieser Satz ist verfassungsrechtlich falsch, als reine Rethoriksülze wird er hoffentlich von Gegnern der Mitbestimmung nicht ernst genommen:
    “ Es gibt eine verfassungsgemäße Balance zwischen Ökonomie und Ethik, zwischen Freiheit und Verantwortung sowie zwischen Markt und Staat.“

    Mitbestimmung wird erst dank dem Sozialstaatsgebot und als Instrument zur Sicherung der Grundechte im Betrieb vefassungsrechtlich zulässig. Gewerkschaftspolitisch ist sie außerdem ein Teil, ein Schritt zu der geforderten Wirtschaftsdemokratie. Das gilt vor allem für die Montanmitbestimmung.

    Wenn schon die Notwendigkeit der Reform des BPersVG angesprochen wird, hätte das HmbPersVG als Vorbild hingestellt werden können. Für dessen jetztige Fassung haben Gewerkschaften lange gekämpft und sie erst jüngst in der letzten Legislaturperiode erreicht, mit dieser Koalition und Bürgermeister Olaf Scholz.

    Eine Balance zwischen Markt und Staat ist völliger Blödsinn: Der Staat regelt die Bedingungen des Marktes, er hat Vorrang. Dass er seine Regelungskompetenz aus Vebraucher- wie auch Arbeitnehmersicht nicht ausreichend oder treffend wahrnimmt, steht auf einem anderen Blatt. Aber zwischen Markt und Staat gibt es keine Balance.

    Die Anwesenden waren nicht Gäste des DGB sondern des Senates, insofern kann die DGB – Vertreterin sie nicht als Gäste begrüßen sondern sollte die anwesenden Betriebs- und Personalräte schon als Kolleginnen und Kollegen ansprechen.

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