Vertrag: Gleichstellung Fehlanzeige

Über viele Aspekte des schwarzgrünen Koalitionsvertrages ist schon geredet oder geschrieben worden – aber nicht über das dort vertretene Frauenbild und die (fehlende) Gleichstellungspolitik. Kersten Artus, frauen- und gleichstellungspolitische Sprecherin der LINKE, holt dies auf hh-heute.de nach: Die GAL hat ihre eigene Vergangenheit verraten, stellt sie fest.

Von Kersten Artus
frauen- und gleichstellungspolitische Sprecherin der LINKE

Hamburg bleibt geschlechtspolitisch gespalten –
Stellungnahme zum Koalitionsvertrag zwischen CDU und GAL

Künftig regiert in Hamburg der Schein der schönen Worte: Die neue Regierung will vieles prüfen und wenig verändern. In der Präambel wird die Verantwortung für die Kluft zwischen arm und reich damit entschuldigt, dass sie nicht nur Hamburger Ursachen habe und die Finanzmittel zu ihrer Begrenzung eingeschränkt seien.

Schier unfassbar ist der Umstand, dass die Grünen – die einst begriffen hatten, wie wichtig es ist, Frauen nicht nur zu fördern, sondern an die erste Reihe zu stellen – die 2001 erfolgte Beerdigung einer Gleichstellungspolitik in Hamburg mit der Schließung des Senatsamt für Gleichstellung nicht korrigiert haben.

Gesundheit, Armut, Gewalt-, Erwerbs- und Obdachlosigkeit, Elternschaft, Wohnen, Arbeit und Geldverdienen haben eines gemeinsam – sie haben ein Geschlecht. Geschlechtergerechtigkeit aucht aber erst auf Seite 52 von 65 in einem allgemein gehaltenen Absatz auf. Ob das rauenzentrum FLAKS oder die Vereinbarkeit von Familie & Beruf – viele frauenspezifische Themen finden sich unter „Soziales“ wieder. So unterbleibt die Auseinandersetzung mit frauenpolitischen Forderungen und die Ableitung auf Frauenzentren für alle Stadtteile, ein Gleichstellungsgesetz auch für die Privatwirtschaft und die Novellierung des ÖD-Gleichstellungsgesetzes von „Kann“- in „Muss“- Bestimmungen. Werden Frauen politisch erst definiert, wenn sie geboren haben? Selbst auf die Chance einer gezielten Mädchenförderung, um Rollenklischees bereits in der frühkindlichen Lebensphase aufzubrechen, wurde verzichtet.

Frauen, die Mütter sind, werden vom neuen Hamburger Senat lediglich als Zuverdienerinnen betrachtet und nicht als eigenständige Persönlichkeiten mit dem Recht auf eine eigenständige ökonomische Lebensgrundlage. Den Wettbewerb um die gut bezahlten Vollzeitarbeitsplätze werden in Hamburg auch in den nächsten vier Jahren die Männer und kinderlosen Frauen gewinnen. Solange die Arbeitszeiten nicht generell abgesenkt werden und es kein Bekenntnis für kürzere Arbeitszeiten bei vollem Lohnausgleich gibt, werden die Geschlechterrollen weiter aufrecht erhalten. Kinderbetreuung unterliegt weiterhin dem Gebührendiktat. Die Korrekturen – das letzte Kitajahr und Vorschuljahr sollen kostenlos werden – sind unzureichend. Solange es kein Recht auf kostenlose Ganztagsplätze in Kitas gibt und die Vereinbarkeit von Familie & Beruf nicht unter
Gleichstellungsaspekten gesehen wird, bleiben Frauen weiterhin auf der zweiten Spur. Mütter benötigen Arbeitsplätze, auf denen sie so entlohnt werden, dass sie davon leben können und nicht weiter abhängig von Männern und vom Staat sind.

Völlig außer Acht gelassen werden die spezifischen Aspekte der Frauengesundheit. Hierzu liegen seit 2001 Empfehlungen einer Expertinnenkommission vor. Wenigstens ein politisches Bekenntnis für eine wirksame und gezielte Frauengesundheitspolitik, wie auch in der Vorwahlzeit von vielen Expertinnen und Experten – u.a. den MacherInnen der Empfehlungen aus dem Jahr 2001 – gefordert, wäre ein Lichtblick gewesen.

Es soll weiterhin nur einen Lebenslagenbericht – und keinen geschlechtsspezifischen Reichtums und Armutsbericht – geben. Es wird lediglich von verschiedenen Facetten gesprochen, Armut und Reichtum sollen berücksichtigt werden, aber keine konkrete Unterscheidung von Geschlecht, Nationaliät, Wohnraumlage.

Zeitliche und quantifizierbare Vorstellungen bleiben bei frauenspezifischen Aspekten im Koalitionsnebel:

– Der Ausbau der Kontingente der Familienhebammen zum Beispiel ist zwar richtig, hätte allerdings quantifiziert gehört. Dies ist an anderen Stellen auch geschehen, warum hier nicht? Die Bedarfe sind von Experten/-innen formuliert.

– Der Bedarf von interkulturellen Gewaltberatungsstellen soll erst einmal nur geprüft werden. Ein Wohnprojekt für von Zwangsheirat bedrohte Frauen soll eingerichtet werden. Zeitpunkt und Umfang bleiben unklar.

– Über die Ausbeutung und Menschenrechtsverletzungen beim Frauenhandel und der Prostitution liegen genügend Erkenntnisse vor, um Sofortmaßnahmen zu ergreifen. Stattdessen sollen niedrigschwellige Ausstiegshilfen erst einmal „diskutiert“ und „entwickelt“ werden – ohne Zeitvorgaben, wie man das aber in anderen Stellen im Koalitionsvertrag durchaus findet.

– Die Bestimmungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes sollen endlich wirksam werden

– die Arbeitsstelle wird angesiedelt bei der Justizbehörde. Eine lang gestellte und sträflich vernachlässigte Gesetzesumsetzung wird damit realisiert – hoffentlich bald. Im Koalitionsvertrag steht hier nichts Konkretes, nicht einmal ein „unverzüglich“.

– Häusliche Gewalt taucht unter „Sozialpolitik“ auf. Es wird lediglich ein Gutachten vereinbart, keine hilfreichen Sofortmaßnahmen, wie sie dringend erforderlich wären.

– Geschlechtergerechtigkeit reduziert bei CDU und GAL auf Aufgaben in Gremien und Leitungsfunktionen mit Orientierung nach der norwegischen Variante: 40 Prozent aller Posten sollen – letztendlich – von Frauen besetzt werden. Aber es folgen Einschränkungen in Form von Entwicklungsplänen, Prozessen mit Abgleich, angemessenen Zeiträumen. So haben die Männer noch lange Zeit Ruhe.

Die Benachteiligung von Frauen und Mädchen wird völlig unzureichend von den CDU und GAL
berücksichtigt. Frauen haben sich den gegebenen Strukturen zu unterwerfen. Nur wenn es für die
Wirtschaft wichtig ist, finden sie nennenswert Erwähnung (Kinderbetreuung, Existenzgründung).
Der Koalitionsvertrag zeigt einmal mehr, wie erforderlich eine vom Senat unabhängige Zentralstelle
zur Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau ist – wie in Bremen geschehen. Außerdem ist
die Erforderlichkeit eines Frauen- und Gleichstellungsausschusses in der Bürgerschaft endgültig
gegeben.

Die GAL ist zu dieser Wahl angetreten für eine eigene Existenzsicherung von Frauen und
wirtschaftliche Sicherheit und Unabhängigkeit im Alter. Gewalt gegen Frauen wollte sie geächtet
wissen. Übrig geblieben ist eine Anpassung an die neoliberale Mainstream.

Im Wahlprogramm der GAL hieß es noch: „Sechs Jahre CDU-Senat zeigen ein düsteres Bild der Frauen- und Gleichstellungspolitik. Was ist davon geblieben? Prüfungen, Gutachten, Sollformulierungen. Aus Frauen- und Gleichstellungspolitik ist halbherzige Mütter- und laue Karriereförderungspolitik geworden.

DIE LINKE. wird nunmehr die Aufgabe in der Bürgerschaft übernehmen, konsequent die Gleichstellung beider Geschlechter zu fordern.

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