Stellingen: Spätes Gedenken an Lager Lederstraße

Auf Initiative von Anke Schulz, Geschichtswerkstatt Lurup, hat der Ortsausschuss Stellingen Ende letzten Jahres Sondermittel für eine Gedenktafel und Bodenplatte zur Erinnerung an das Zwangsarbeiterlager in der Lederstraße (Nähe S-Bahnhof Stellingen) beantragt. Unterstützt und begleitet wurde dieses Projekt von den Vertreter und Vertreterinnen der Fraktionen SPD, GAL und DIE LINKE. Morgen, fast 65 Jahre nach Auflösung des Lagers, wird die Gedenktafel nun enthüllt.

Bezirksamtsleiter Dr. Jürgen Mantell sowie Initiatorin Anke Schulz werden die Einweihungszeremonie mit einer Rede einleiten. Der Freundeskreis der KZ Gedenkstätte Neuengamme hat im Rahmen des Besuchsprogramms im Auftrags des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg ehemalige Zwangsarbeiter/innen aus der Ukraine nach Hamburg einladen können. Die ehemaligen Insassen der Zwangsarbeiterlager berichten von Misshandlungen und unmenschlichen Lebensbedingungen.

Zur Einweihungsfeier in Stellingen wird Vera Stepanowa kommen, die im Zwangsarbeiterlager in der Lederstraße einsaß. Sie wird aus ihrem Leben erzählen und vom Aufenthalt im Lager berichten. Die Vertreter/innen der o.g. Parteien weisen ausdrücklich darauf hin, dass sie diese Veranstaltung nicht für den bevorstehenden Wahlkampf nutzen und deshalb auf jegliche Rede verzichten werden.

Die Errichtung der Gedenktafel und der Bodenplatte wird von zahlreichen Privatpersonen und Institutionen unterstützt, unter anderem von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), Bund der Antifaschisten e.V. Gruppe Eidelstedt – Stellingen, vom Freundeskreis KZ Gedenkstätte Neuengamme, von der Gesamtschule Stellingen und der Deutschen Bahn AG, die die Anbringung der Gedenktafel im Eingangsbereich des Stellinger S-Bahnhofs genehmigt hat.

Die Einweihung der Gedenktafel findet statt
am Mittwoch, 23.09.09 um 15:00 Uhr am S-Bahnhof Stellingen.

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Hintergrundinformationen

Das Gebiet an der Lederstraße war ab 1938 von den Behörden für ein Arbeitslager für Sinti und Roma vorgeschlagen worden. 1942 erfolgte der Bau für ein Zwangsarbeiterlager, das der Deutschen Arbeitsfront (DAF) unterstand und von der Gestapo und der Ausländerbehörde kontrolliert wurde. Es wurde auch zur Verteilung der ankommenden Zwangsarbeiter in andere Lager gewissermaßen als Umschlagplatz genutzt, daher schwanken die Belegungszahlen bis
hin zu 3000.

Zwangsarbeiter/innen aus Polen, Russland, der Ukraine, Weißrussland, darunter Frauen, Jugendliche und sogar Kinder, mussten für Speditionen, Rüstungsbetriebe und die Stadtreinigung arbeiten. Ab 1944 waren in dem Lager auch italienische Militärinternierte inhaftiert. Herbert Diercks konnte nachweisen, dass 8 Kinder, die in diesem Lager geboren worden sind und aufgrund mangelnder Ernährung verstarben. Unter den Gefangenen kam es zu Erkrankungen aufgrund der mangelnden Hygiene und der unzureichenden Bekleidung im Winter.

Im August 1943 ermordete nach Recherchen von Friedericke Littmann die Waffen SS 6 Frauen und 24 Männern des DAF Zwangsarbeiterlagers in den nahegelegenen Winsbergen. An der Exekution hatten alle männlichen Zwangsarbeiter des Lagers als Augenzeugen teilzunehmen, bevor sie, wie gewohnt, von Lastwagen abgeholt und zu ihren Arbeitsplätzen gebracht wurden. Es folgten weitere Massenerschießungen an derselben Grube in den Winsbergen von Zwangsarbeitern anderer Lager des Hamburger Raumes. Die Massenerschießungen erfolgten auf Anordnung der Gestapo und Mitarbeitern des
Ausländerreferates und sollten ein „abschreckendes Exempel statuieren“.

Ein kleineres Lager für die Firma Steckmeister & Co, Beton-, Hoch- und Tiefbau für 50 Zwangsarbeiter lag unterhalb des DAF Lagers ebenfalls in der Lederstraße. In der Nähe der Lederstraße befanden sich weitere Zwangsarbeiterlager, so befanden sich mehrere Lager in der Schnackenburgsallee mit insgesamt mehr als 300 und das Lager Eidelstedt mit ca. 200 Zwangsarbeitern.

Die Gedenktafel wird im Eingangsbereich des Stellinger S-Bahnhofs angebracht werden, um die Erinnerung an das Zwangsarbeiterlager mitten im Alltag sichtbar werden zu lassen. In der Lederstraße selbst wird eine Bodenplatte auf diese Informationstafel verweisen. Die Tafeln sollen Zeichen des Gedenkens und der Anteilnahme für die Opfer des Faschismus setzen, die in der NS-Zeit im Nordwesten Hamburgs in Zwangsarbeiterlager und Konzentrationslager interniert waren.
Die Initiatorin und Unterstützer dieses Projektes hoffen, dass dadurch auch das Bürgerengagement gegen rechte Gewalt in der Gegenwart gestärkt wird.

Der Text der Tafel:

Zwangsarbeiterlager in der Lederstraße

In den Jahren von 1942 bis 1945 befand sich in der Lederstraße nahe des heutigen Stellinger Bahnhofs eines der größten Lager Hamburgs für ausländische Zwangsarbeitskräfte. Es unterstand der Deutschen Arbeitsfront.

In mindestens 18 Baracken lebten unter menschenunwürdigen Bedingungen um die 2000 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die überwiegend aus osteuropäischen Ländern verschleppt worden waren. Unter ihnen befanden sich viele Kinder und Jugendliche.

Sie waren gezwungen, vor allem für die Rüstungsindustrie, Baufirmen, Speditionen und Fischfabriken zu arbeiten.

Im August 1943 erschoss die Waffen-SS im Auftrag der Gestapo 174 Zwangsarbeiter verschiedener Hamburger Lager in einer Kiesgrube in den Winsbergen nahe der Lederstraße. Die meisten Opfer waren Insassen des DAF-Zwangsarbeiterlagers in der Lederstraße und des Lagers „Langer Morgen“ in Wilhemsburg.
1943 wurde das Zwangsarbeiterlager in der Lederstraße durch alliierte Luftangriffe zerstört, wobei es unter den Zwangsarbeitern zahlreiche Tote gab. Anschließend musste es von den Lagerinsassen wieder aufgebaut werden.

Nach Kriegsende wurden in den Lagerbaracken Flüchtlinge und Bombenopfer untergebracht.

Im Gehwegbereich der Lederstraße nahe der Unterführung der Gleisanlagen erinnert eine Bodenplatte an den Eingangsbereich des Lagers.

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