Shared Space: Einwohner wollen nicht

Viele Einwohner St. Georgs sind vom Plan, die Lange Reihe zur Gemeinschaftsstraße umzubauen, wenig begeistert. In bisher drei öffentlichen Versammlungen äußerten sie ihren Unmut, beide Einwohnervereine sind dagegen.

Am 12. Februar 2010 teilte die Behörde für Stadtentwicklung für und Umwelt (BSU) mit, dass sie an die Vorbereitungen gehe, die Lange Reihe bis 2011 zu einer so genannten Gemeinschaftsstraße umzubauen. Angeblich würde jetzt ein „umfangreiches und ergebnisoffenes Beteiligungsverfahren“ in Gang gesetzt, so die zuständige Senatorin Anja Hajduk, und weiter: „Nur Akzeptanz ermöglicht den Erfolg des Projekts.“

Bereits Ende 2007/Anfang 2008 haben insgesamt drei Veranstaltungen des Bezirksamtes Hamburg-Mitte zum Thema Shared Space in St. Georg stattgefunden. Auf diesen Versammlungen wurde sehr deutlich, dass die Mehrheit der TeilnehmerInnen der Umwidmung der Langen Reihe zu einer Gemeinschaftsstraße kritisch bis ablehnend gegenüber steht.

Insbesondere der Bürgerverein und der Einwohnerverein haben ihre negative, zum Teil aus unterschiedlichen Motiven herrührende Haltung zu diesem Projekt mehrmals und sehr nachdrücklich formuliert. Trotz wiederholter, ergebnislos gebliebener Nachfragen u.a. im Stadtteilbeirat müssen die BürgerInnen und EinwohnerInnen St. Georgs jetzt zur Kenntnis nehmen, dass die Planungen trotz der Einwände in den vergangenen zwei Jahren ohne Rückkoppelung mit dem Stadtteil weiter gegangen sind. Dass der Protest sehr wohl wahrgenommen wurde, schlägt sich auch in einem Papier des Bezirks Hamburg-Mitte vom 25. Januar 2010 nieder, in dem es abschließend heißt: „In Bezug auf die Risikoabschätzung ist mit Rückblick auf die bereits erfolgten Workshops von keinem einheitlichen Konsens zum Umgang mit der Langen Reihe, und speziell dem Thema Gemeinschaftsstraße, auszugehen.“ Selbst der Bezirk räumt also ein, dass die von Senatorin Hajduk geforderte „Akzeptanz“ in St. Georg nicht gegeben ist.

Die beiden Stadtteilvereine bewerten Shared Space im Allgemeinen durchaus positiv, halten allerdings die Lange Reihe für ein entsprechendes Projekt für ungeeignet. Die Erfahrungen der Kleinstadt Bohmte nahe Osnabrück, wo ein Modellprojekt Shared Space bereits eingeführt wurde, lassen sich nicht auf eine so dynamische Straße mit Wohnhausbebauung und Kleingewerbestruktur übertragen. Hier wäre nach gemeinsamer Überzeugung der beiden Vereine eine Tempobegrenzung auf 30 km/h völlig ausreichend.

Das sind die aktuellen Stellungnahmen der Vereine:

Zu seiner speziellen Sicht führt der Bürgerverein an:

Die Lange Reihe ist eine beliebte intakte Wohn- und Einkaufstraße. Warum sollte diese Straße umgebaut werden?

Die Lange Reihe muss umgebaut werden, um die Verkehrssicherheit zu erhöhen.

Falsch: Aus polizeilicher Sicht besteht hierfür keine Notwendigkeit. Die Lange Reihe ist kein Unfallschwerpunkt. Sie ist nicht gefährlich. An vier Zebrastreifen kann sie heute gequert werden.

Die Lange Reihe muss umgebaut werden, um den Verkehr zu beruhigen!
Falsch: Eine Verkehrsberuhigung erwarten wir hierdurch nicht, wohl aber eine Verdrängung des Verkehrs auf Nebenstraßen, z.B. auf die Koppel. Wir haben seit Jahren gefordert, Tempo 30 in der Langen Reihe einzuführen, damit auch früh morgens und abends die Geschwindigkeit eingegrenzt ist. Die Montage dieser Schilder kostet einen Bruchteil der Ausgaben Shared Space.

Die Lange Reihe wird durch Shared Space zum Versuchskaninchen. Mindestens 2,2 Mio. EUR sollen hier verbuddelt werden, ohne dass der Sinn und Zweck erkennbar wird. Wir bestreiten, dass die gewollte Unsicherheit aller Verkehrsteilnehmer auf dem kleinen Kernstück zwischen Danzigerstraße und Greifswalder Straße zu mehr Verkehrssicherheit führt. Gerade Kinder und ältere Menschen brauchen sichere Wege.

Wir wollen auch, dass weiterhin der 6er Bus durch die Lange Reihe fährt. Die Gemeinschaftsstraße könnte zu Verlegung der Buslinie führen.

Die Überwachung der Parkflächen in der Langen Reihe ist unzureichend. Wir haben nicht die Hoffnung, dass sich dies in Zukunft ändert.

Der teure Umbau eines kleines Stückes der Langen Reihe bringt keinerlei Vorteile für die Menschen, die hier leben und arbeiten. Hamburg, St. Georg hat andere Sorgen. Um endlich etwas vorzeigen zu können, muss man die Lange Reihe nicht umbauen.

Der alternative Einwohnerverein begrüßt im Grundsatz die Philosophie von Shared Space und sieht darin einen Ansatz, das Tempo auf den Straßen zu senken und den Straßenraum gleichberechtigt für FußgängerInnen, FahrradfahrerInnen und AutofahrerInnen nutzbar zu machen, gibt aber auch zu bedenken, dass ältere, geh- und sehbehinderte BürgerInnen den Straßenraum als weniger kalkulierbar empfinden und ihn deswegen möglicherweise meiden.

Die Lange Reihe als Gemeinschaftsstraße auszuweisen würde die hier seit Jahren festzustellenden negativen Erscheinungen (Ladensterben, Zunahme von Restauration und Außengastronomie, Umwandlungen, Mietpreisexplosion und Verdrängung) nachhaltig verschärfen.

Auf die Frage, welche mittelfristigen Auswirkungen Shared Space denn über die Veränderung des unmittelbaren Straßenraumes hinaus haben würde, antwortete der Schöpfer von Shared Space, der inzwischen verstorbene Stadtplanungs- und Verkehrsexperte Hans Mondermann, auf einer Veranstaltung in St. Georg vor gut zwei Jahren, dass nach seiner Erfahrung die Attraktivität von entsprechenden Zonen für Gäste und TouristInnen und damit deren Zahl deutlich zunehmen und die Quadratmeterpreise erhöht würden, für das Gewerbe innerhalb von fünf Jahren sogar um fast das Doppelte.

Der Einwohnerverein lehnt daher ab, die Lange Reihe zu einer Gemeinschaftsstraße umzuwidmen. Es gibt bereits zu viele Belastungen durch die bisweilen überbordende Außengastronomie und eine massive Verdrängung von MieterInnen und Kleingewerbetreibenden, Phänomene, die durch Shared Space weiter verstärkt werden würden.

4 Gedanken zu „Shared Space: Einwohner wollen nicht“

  1. Die Argumentation des Bürgerverein ist wirklich sehr merkwürdig. Sie wollen also keinen attraktiven Lebensraum ohne Lärm und Gestank der Autos und weiterhin lebensgefährliche Straßen damit die Grundstückspreise niedrig bleiben? Fußgänger lassen sich also freiwillig weiterhin zusammen mit der Gastronomie und den Radfahrern an den Rand drängen weil der Autoverkehr angeblich nicht gefährlich ist? Shared-Space ist eine einmalige Gelegenheit endlich wieder gleichberechtigten Lebens- und Bewegungsraum zu erlangen. Kinder, ältere Menschen, Fußgänger und Radfahrer könnten sich endlich wieder ohne Lebensgefahr frei bewegen und das wird freiwillig abgelehnt weil die Lebensqualität damit steigen wird und somit eventuell auch die Quadratmeterpreise? Da kann man sich echt nur noch an den Kopf fassen. Zieht doch gleich an die Autobahn. Da ist es noch billiger!

  2. sich gegen alles neue zu stellen, ist typisch alt-sankt-georger. ich kann die meinung von herrn kahn nur unterstützen. stadtteile verändern sich nun mal. ebenso nervt mich dieses wiederkehrende klagen, wie „ach so schade“ es ist, dass diese netten kleinen läden auf der langen reihe dichtmachen. leute, warum geht ihr dann nicht regelmäßig dort einkaufen? dann hätten sich diese geschäfte halten können. aber selbst zu subway laufen, und beim netten „antiquariat“ nur ins schaufenster glotzen, davon lässt sich vielfalt nicht erhalten.

    ich bin defnitiv FÜR shared space. verkehrsberuhigung und weniger lärm hat noch keinem geschadet.

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