Sexuelle Belästigung: Nein heißt nein!

Mehr als die Hälfte der ArbeitnehmerInnen hat schon Situationen von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz beobachtet oder selbst erlebt. Das zeigt eine Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Für die Gewerkschaften ist klar: Es besteht weiterhin großer Informations- und Beratungsbedarf.

Anzügliche Sprüche, eindeutige Fotos oder SMS und unerwünschte Berührungen gehören in Deutschland zum Arbeitsalltag. Das dürften sie eigentlich nicht, denn sie alle sind Formen von sexueller Belästigung, die nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) von 2006 verboten sind. In einer Studie des Sozialwissenschaftlichen Umfragezentrums Duisburg (SUZ) im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes haben 52 Prozent der Befragten – 49 Prozent der Frauen und 56 Prozent der Männer – angegeben, solche Erfahrungen gemacht oder zumindest beobachtet zu haben. Während Frauen eher physischen Übergriffen und Kommentaren zu ihrem Aussehen ausgesetzt sind, werden Männer stärker mit visuellen und verbalen Formen der Belästigung wie pornografischen Bildchen oder anzüglichen Nachrichten per Handy oder per Mail konfrontiert. Nur 19 Prozent wissen, dass der Arbeitgeber eine Fürsorgepflicht hat und die Beschäftigten schützen muss.

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Aus gewerkschaftlicher Sicht besteht dringender Informations- und Aufklärungsbedarf. Seit Mitte der 1980er-Jahre setzen sich DGB und Gewerkschaften mit der Thematik auseinander und unterstützen Betroffene. „Nein heißt nein“, die erste DGB-Broschüre zum Thema, löste 1987 eine gesellschaftliche Debatte aus. Selbst wenn in den letzten Jahren andere frauenpolitische Themen wie Entgeltgleichheit und Frauenquote die Debatte bestimmten, war das Thema für die Gewerkschaften immer aktuell. Ziel der Gewerkschaften ist ein Arbeitsklima, das von partnerschaftlichen Verhalten geprägt ist und in dem die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen und Männern gewahrt bleibt.

Sexuelle Belästigung tritt in vielfältigen Formen auf. Jeder Einzelfall hat seine Besonderheiten, berichtet die GdP-Expertin Corina Gombel, Frauenbeauftragte an der Polizeiakademie Hessen. „Wir entwickeln individuelle Lösungen“, erklärt sie. Nicht immer gehen die Übergriffe von Vorgesetzten oder ArbeitskollegInnen aus. Karin Schwendler, Leiterin des ver.di-Bereichs Frauen- und Gleichstellungspolitik, berichtet, dass oft kritische Situationen auftreten, wenn Dritte ins Spiel kommen. So werden ebenso betriebsfremde Personen wie Zulieferer oder PatientInnen zudringlich. Auch bei der GEW kennt man dieses Phänomen. „Lehrerinnen und andere Pädagoginnen an Schulen erfahren sexuelle Belästigungen nicht nur von Vorgesetzten und Kollegen, auch Schüler oder Väter lassen anzügliche Bemerkungen fallen“, berichtet Frauke Gützkow, Leiterin des Arbeitsbereichs Frauenpolitik im GEW-Vorstand. „Außerdem kommt es immer öfter zu Belästigungen in den sozialen Medien“, so Gützkow. Anzügliche Inhalte werden inzwischen per Handy oder in den sozialen Netzwerken verbreitet – auch am Arbeitsplatz.

Partnerschaftliche Betriebskultur
Um auf diese aktuellen Entwicklungen zu reagieren, haben die Delegierten des 20. Ordentlichen DGB-Bundeskongresses im Mai 2014 den DGB-Bundesvorstand aufgefordert, zum Thema eine „Handlungsanleitung beziehungsweise ein Schulungskonzept für die hauptamtlichen und ehrenamtlichen Akteurinnen und Akteure“ zu entwickeln. Derzeit arbeitet der DGB auch an der Neuauflage einer Informationsbroschüre. Gewerkschaften und betriebliche Vertretungen haben viele Möglichkeiten, auf das Thema aufmerksam zu machen. Auf Betriebs- und Personalversammlungen oder mit Aushängen und Plakaten können Beschäftigte und KundInnen auf eine partnerschaftliche Betriebskultur hingewiesen und ihnen deutlich gemacht werden, dass Fehlverhalten nicht geduldet wird.

Hohe Dunkelziffer
Ein wichtiges Instrument, um sexueller Belästigung vorzubeugen und angemessen auf sie zu reagieren, sind Betriebs- und Personalvereinbarungen, die den fairen Umgang miteinander regeln und bei Verstößen Sanktionen festschreiben. Sabine Piel ist Koordinatorin des Europäischen Betriebsrats (EBR) beim Nahrungsmittel-Riesen Unilever und setzt sich dort für eine europäische Rahmenvereinbarung gegen sexuelle Belästigung ein. Dabei hört sie auf verschiedenen Ebenen immer wieder: „So etwas brauchen wir nicht.“ Doch Piel ist sich sicher: „Die Dunkelziffer ist extrem hoch.“ Viele, die sexuell belästigt wurden, wüssten nicht, wem sie sich anvertrauen können. Eine der zentralen Forderungen von Sabine Piel ist, dass sich die Betroffenen an eine neutrale Stelle wenden können, die sie berät und vertritt. Zudem müssten die Opfer umfassend betreut werden und die Sanktionen für die TäterInnen drastisch sein. Auch ihrem Engagement ist es zu verdanken, dass der Konzern nun mit der Internationalen Gewerkschaft der Nahrungsmittelarbeiter (IUF) über eine globale Vereinbarung verhandelt, die noch 2015 in Kraft treten soll.

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