Organisierte Kriminalität: Keine Wirtschaftskrise

Die organisierte Kriminalität (OK) hat in Hamburg nach Angaben des Senats im vergangenen Jahr einen Gewinn von über 462 Millionen Euro erzielt – ein Rekordwert. „Jeder zweite Euro, den die organisierte Kriminalität im Jahr 2009 deutschlandweit verdient hat, hat sie in Hamburg verdient“, sagte SPD-Innenexperte Andreas Dressel. Denkbar ist allerdings auch, dass die Ermittler besser arbeiten und mehr OK-Gewinne entdeckt werden.

Im Jahre 2008 waren noch knapp 81 Millionen Euro Gewinne gemeldet worden, in 2007 waren es nur 8,5 Millionen Euro. Die Schäden durch Organisierte Kriminalität betrugen in Hamburg im Jahr 2009 knapp 96 Millionen Euro (2008 knapp 106 Millionen Euro, 2007 knapp 17 Millionen Euro). Das geht aus der Antwort des Senats zur Entwicklung bei der Organisierten Kriminalität in Hamburg für das Jahr 2009 hervor.

Zum fünften Mal legte die SPD-Bürgerschaftsfraktion entsprechende Auswertungen vor – während sich der Senat seit Jahren weigert, Lageberichte zur Entwicklung der Organisierten Kriminalität zu veröffentlichen. Entsprechende Lagedaten hatte die SPD-Fraktion für den Zeitraum 2001-2005, 2006, 2007, 2008 und nunmehr 2009 beim Senat abgefragt.

Erfreulich sei, dass deutlich mehr kriminell erworbene OK-Gewinne vorläufig abgeschöpft wurden. Lag die entsprechende Summe 2008 noch bei nur rund drei Millionen Euro, waren es 2009 fast 35,6 Millionen Euro. „Der Trend geht in die richtige Richtung. Dennoch: Im vergangenen Jahr wurden nur etwa sieben Prozent der OK-Gewinne abgeschöpft“, bedauerte Dressel. „Wir müssen diese Kriminellen da treffen, wo es ihnen weh tut – beim Geld. Und deshalb muss der Staat noch mehr kriminelle Gewinne abschöpfen.“ Dressel unterstrich in diesem Zusammenhang, dass die Summe des abgeschöpften Geldes, das endgültig in der Staatskasse gelandet ist, vergleichsweise niedrig ist. 2009 betrug die Summe 1,66 Millionen Euro gegenüber 1,24 Millionen Euro im Vorjahr.

Mit Blick auf die bevorstehende Sparklausur des Senats bereitet der SPD-Fraktion Sorgen, dass auch im Bereich OK-Bekämpfung Personal abgezogen wird. Nachdem – laut Senatsangaben – bereits im Jahr 2008 in der OK-Abteilung des Landeskriminalamts sechs Mitarbeiter weniger als im Jahr 2007 im Einsatz waren, hat die Innenbehörde den Personalbestand in der OK-Abteilung zum 1. Juli 2010 erneut um vier Kräfte reduziert. „Die OK-Bekämpfung muss auch personell schlagkräftig ausgestattet sein“, forderte Dressel, „die Verfahren werden schließlich langwieriger, komplexer und erstrecken sich immer öfter auf mehrere Staaten.“ Dressel lobte ausdrücklich die Arbeit der OK-Ermittler: „Die Polizei macht einen guten Job – unter Rahmenbedingungen, die schwieriger werden.“

Kernerkenntnisse für die OK-Lage in Hamburg 2009:

* Die Zahl der polizeilichen Ermittlungsverfahren zur OK ist in Hamburg im Jahr 2009 gegenüber dem Vorjahr von der vergleichsweise hohen Zahl 42 auf 35 gesunken. Die Verfahren dauern gleichzeitig länger – gut 16 Monate war die durchschnittliche OK-Verfahrensdauer in 2008, 2009 betrug sie rund 19 Monate.

* Der Bereich Rauschgift hat mit deutlichem Abstand den Spitzenplatz unter den Kriminalitätsbereichen der Hamburger OK eingenommen. Gab es 2006 in diesem Kriminalitätsbereich noch neun Verfahren, waren es 2007 schon zwölf, 2008 insgesamt 17 – und im Jahr 2009 21.

* Rückläufig ist die Zahl registrierter Einflussnahme der OK auf Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Medien nehmen wollte, sie liegt nur noch bei rund 14 Prozent (- 5 Prozent gegenüber dem Vorjahr). Auffällig: Zieladressaten waren sehr häufig inländische Medien – in acht Verfahren.

* Mit über 70 Prozent dominieren deutsche Tatverdächtige das OK-Geschehen in Hamburg. Mit deutlichem Abstand folgen türkische (6,5 Prozent) und litauische (3,53 Prozent) OK-Tatverdächtige.

* Die Zahl der Anklagen gegen OK-Beschuldigte ist wieder deutlich zurückgegangen. Wurden in 2008 noch 67 Anklagen registriert, waren es in 2009 nur noch 39 Beschuldigte, gegen die Anklage erhoben wurde.

* Der Praxis der Hamburger Gerichte, im Bereich OK auch deutliche Freiheitsstrafen ohne Bewährung zu verhängen, hat auch 2009 angehalten. Wenig erfreulich sind jedoch die – auch in anderen Bereichen immer wieder festzustellenden – Verfahrensverzögerungen bei der Justiz. So wurde ein Verfahren gegen einen dem OK-Bereich zuzuordnenden Drogendealer am Amtsgericht St. Georg trotz Anklage vom Dezember 2008 noch nicht verhandelt.

* Die Zahl der verdeckten Maßnahmen zur Beweissicherung – etwa Telefonüberwachung oder Einsatz verdeckter Ermittler – in OK-Verfahren ist weiter auf hohem Niveau; sie hat sich von 13 (2007) über 21 (2008) auf nun 22 (2009) gesteigert.

Dressel kündigte an, die SPD-Fraktion werde die Berichterstattung über Organisierte Kriminalität in Hamburg fortsetzen. „Wer über dieses Kriminalitätsphänomen schweigt, kann die notwendige Sensibilisierung der Öffentlichkeit nicht erreichen“, sagte der SPD-Innenexperte.

Auch die Wirtschaftskriminalität insgesamt – die Übergänge zur OK seien fließend – müsse der Senat im Blick behalten. Die Deliktszahlen hätten sich in diesem Bereich von 2008 auf 2009 in Hamburg – infolge von Großverfahren – mehr als verachtfacht; auch in 2010 gebe es einen steigenden Trend. „Auch gegen Kriminelle in Nadelstreifen müssen die Strafverfolgungsbehörden konsequent vorgehen. Das ist auch ein Gebot sozialer Gerechtigkeit – denn was in diesem Bereich geschieht, ist extrem schädlich für die Gesellschaft.“

Eine SPD-Veranstaltung mit der italienisch-deutschen Anti-Mafia-Politikerin Laura Garavini und Hamburgs oberstem OK-Bekämpfer Thomas Menzel in der vergangenen Woche hat nach Worten Dressels Handlungsbedarf in einzelnen Bereichen der Kriminalitätsbekämpfung ergeben:

– Vermögens- und Gewinnabschöpfung noch effektiver machen. Durch die globalisierten Geldströme wächst das Risiko, dass Kriminelle zu beschlagnahmende Vermögenswerte ins Ausland beiseite schaffen. Die gesetzlichen und technischen Instrumente müssen mithalten – und zwar vor allem im internationalen Kontext.

– Geldwäschegesetz verschärfen. Die Ermittler haben bei verdächtigen Geldbewegungen nur drei Tage Zeit, Verdachtsmomenten nachzugehen. Wenn in so kurzer Zeit die Herkunft des Geldes nachgewiesen werden soll, stoßen die Ermittler schnell an praktische Grenzen.

– Bund-Länder-Koordinierung im Bereich OK. Es ist zu prüfen, ob es nicht – wie im Bereich Terrorismus – eine gemeinsame OK-Bekämpfungskoordinierung geben soll. Diese könnte von Bund und Ländern getragen werden. Mit einer entsprechenden Idee des Bundesvorsitzenden des Bundes Deutscher Kriminalbeamter sollte sich die Innenministerkonferenz beschäftigen.

– Möglichkeiten der OK-Bekämpfung nicht weiter einschränken. Dressel: „Es war richtig, dass das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber bei verdeckten Maßnahmen und bei der Speicherung von Telekommunikationsdaten enge Grenzen gesetzt hat. In diesen Grenzen sollten die Ermittler dann aber auch tätig werden dürfen. Es darf zum Beispiel nicht sein, dass sich OK-Täter via verschlüsselter Internettelefonie vom Acker machen und die Ermittler untätig dabei zuschauen müssen. Die Grenzen, die Karlsruhe setzt, müssen eingehalten, aber auch ausgeschöpft werden.“

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