Morsal O.: Wollen Behörden Versagen vertuschen?

Hätten Hamburgs Behörden sich so sehr um das Wohl des LEBENDEN Mädchens gekümmert wie jetzt um ihren vermeintlichen postmortalen Willen – Morsal O. wäre vermutlich nicht ermordet worden. Jetzt, nachdem die Bürgerschaft die diversen Akten über ihren Leidensweg einsehen will, sind diverse Daten plötzlich schutzbedürftig und sollen dem Parlament nicht vorgelegt werden – schutzbedürftiger offenbar, als das Mädchen selbst es aus Sicht der Behörden je gewesen ist. Der Verdacht drängt sich auf, dass hier vor allem eines schutzbedürftig ist: Die Fehlleistungen diverser Dienststellen, die am Ende zu Morsal O.s Tod geführt haben.

Der Reihe nach: Nachdem bekannt wurde, dass die junge Frau vor der Ermordung durch ihren Bruder immer wieder bei Hamburger Dienststellen Hilfe gesucht hatte, erklärten zunächst Senatorin Goetsch und Senator Wersich vor der Presse und später in der Bürgerschaft, alle Behörden hätten alles richtig gemacht – Morsal O.s Tod sei nicht zu verhindern gewesen.

Wenig später stellte sich heraus, dass die beiden ihrer Phantasie freien Lauf gelassen hatten – als sie der Presse erklärten, alles sei prima gelaufen, hatten ihre eigenen Behörden noch nicht einmal den Sachverhalt aufgeklärt oder einen vollständigen Verlauf der gescheiterten Hilfsbemühungen zusammengestellt. Goetsch und Wersich konnten gar nicht wissen, ob ihre Behörden ordentlich gearbeitet hatten – sie behaupteten es aber trotzdem öffentlich.

Stattdessen mehrten sich Hinweise, dass die Zusammenarbeit der verschiedenen Dienststellen im Fall Morsal O. eben nicht richtig funktioniert hatte: Sie wurde mehrfach hin- und hergereicht, offensichtlichen Anzeichen schwerer Gewalt gegen sie wurde nicht nachgegangen, und noch wenige Tage vor ihrer Ermordung, als sie mit schweren Verletzungen in der Gerichtsmedizin vorgestellt wurde, sah man keine Veranlassung, einzugreifen.

Auch ein Flensburger Lehrer trug nicht gerade dazu bei, das Vertrauen in das Handeln der Behörden zu stärken.

Schon zu diesem Zeitpunkt wollte die Opposition einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Es schien dann aber eine Chance zu geben, gemeinsam mit allen Fraktionen Aufklärung zu betreiben und Lehren für künftige Fälle zu ziehen. Der PUA-Antrag wurde zurückgestellt, stattdessen zunächst im Jugendausschuss beraten. Hier wurden CDU und GAL zunehmend ablehnender gegenüber Aufklärungsbemühungen – man wollte offensichtlich die eigenen Senatoren schützen. Jugendausschuss-Vorsitzende Carola Veit (SPD) kommentierte: „Die wollen keine Aufklärung. Hier wird bewusst gemauert.“ Senator Wersich versuchte noch, außerhalb des Parlaments Terrain gut zu machen und tischte dem Abendblatt eine fast wahre Geschichte auf, nach der alle Schuld beim SPD-geführten Bezirksamt Hamburg-Mitte zu suchen sei. Die allerdings glaubte ihm auch niemand mehr, und Bezirksamtsleiter Schreiber widersprach sogar öffentlich.

Dann wurde ein Aktenvorlageersuchen an den Senat gerichtet.

Das war nach der Sommerpause, in den ersten September-Tagen. Jetzt, fünf Wochen später, hat die zuständige Behörde eine Senatsvorlage erarbeitet, in der nahegelegt wird, dem Parlament auf keinen Fall alle Akten zur Verfügung zu stellen, und auch nichts, was über die Akten hinausgeht (z.B. Emails und dergleichen). Begründet wird dies mit dem „Schutz der Sozialdaten“, Ermittlungen gegen eine beteiligte Person in einem Strafverfahren und dem vermeintlichen Wunsch der toten Morsal, bestimmte Details nicht preiszugeben.

Wörtlich heißt es in der Senatsvorlage: „Aus ihren Äußerungen und ihrem Verhalten wird deutlich, dass sie wollte, dass ihre Sozialdaten ausschließlich von den zuständigen Sozialarbeitern zu dem Zweck verwendet werden sollten, sie bei der Lösung ihrer Probleme zu unterstützen. Einer Weitergabe ihrer Daten an Dritte hätte Morsal O. demnach mutmaßlich nicht zugestimmt.“ Mit so einer Begründung könnte man wohl jede Aktenvorlage verweigern.

„Schwer zu ertragen“ ist dieses Argument für die SPD-Jugendpolitikerin Carola Veit, die sich auch in ihrem Blog mit dem Thema auseinandersetzt. „Der Senat versteckt sich hinter dem toten Mädchen, indem er sich anmaßt, für es zu sprechen“, sagte sie dem „Hamburger Abendblatt“. Ihr Bürgerschaftskollege Thomas Böwer (SPD) appellierte an Schulsenatorin Christa Goetsch und Justizsenator Till Steffen (beide GAL) persönlich, „diesen Fall mit aller Transparenz aufzuklären“.

Spannend ist auch die Argumentation hinsichtlich der Akten der Staatsanwaltschaft: Wenn der Fall gerichtshängig ist, sind die Akten beim Gericht; da könne die Staatsanwaltschaft nichts mehr vorlegen. Spontaner Kommentar einer langjährigen Rathaus-Mitarbeiterin: „Genau. Die Akten sind beim Richter, der Staatsanwalt hat keine Kopien, und seine Anklageschrift sagt er vor Gericht auswendig auf.“

An anderer Stelle heißt es in der Drucksache: „Insgesamt zeigt sich ein Bild, in welchem Morsal O. bedacht war, die Befassung staatlicher Stellen mit familiären Angelegenheiten auf das geringst mögliche Maß zu beschränken. Die Bürgerschaft ist eine weitere staatliche Stelle, die sich mit dem Fall der Familie O. befasst.“ Klartext: Am besten wäre, die Parlamentarier hielten die Klappe und ließen die Verwaltung in Ruhe weiter vor sich hin wurschteln.

Der Prozess gegen den des Mordes angeklagten 24jährigen Bruder des Opfers beginnt am 16. Dezember. Beim derzeitigen Verhalten der beteiligten Behörden und des Senats ist nicht auszuschließen, dass ungefähr zur gleichen Zeit ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss (PUA) doch noch seine Arbeit aufnimmt.

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