Mehr Gewalt gegen Beamte

Gewalt gegenüber Beamten nimmt zu – auch Polizeibeamte haben damit vermehrt zu kämpfen. Oliver Malchow, Bundesvorsitzender der GdP, spricht im Interview über die Folgen massiver Personalkürzungen, verunsicherte Bürger und rechtsfreie Räume.

Oliver Malchow, seit den Ereignissen von Köln in der Silvesternacht ist die innere Sicherheit das politische Topthema. Wie hat sich die Situation für die Polizei im vergangenen Jahr verschärft, und welchen Anteil daran hat die so genannte Flüchtlingskrise?
Die Diskussion über die innere Sicherheit, die wir gerade führen, hat nicht direkt mit den Vorfällen in Köln oder den Flüchtlingen zu tun. Grundsätzlich ist das alles nichts Neues: Wir haben insgesamt ein Problem bei der inneren Sicherheit – eben auch mit Menschen mit Migrationshintergrund. Aber nicht erst seit 2015 und durch die Flüchtlinge. Die Situation hat sich schon in den letzten zehn Jahren abgebildet.

In den vergangenen 18 Jahren haben Bund und Länder 16 000 Stellen bei der Polizei abgebaut. Welche Auswirkungen hat das?
Beispielsweise haben wir bei den Wohnungseinbrüchen deutschlandweit nur noch eine Aufklärungsquote zwischen sieben und 15 Prozent. Uns fehlen Beamte und moderne Mittel, um Cyber-Crime oder Kinderpornografie aufzuklären – und vieles andere mehr. Resultat ist ein schwindendes Sicherheitsgefühl der Bevölkerung. Die Bürger fühlen sich schon länger unsicher, und es ist einfach ignoriert worden. Köln hat dieses Fass zum Überlaufen gebracht.

Ist Politikversagen verantwortlich für die Personalmisere? Oder sind nicht doch durch die Flüchtlingswelle, den IS-Terror oder rechte Demos viele neue Aufgaben auf die Polizei zugekommen, die so nicht vorhersehbar waren?
Die 16 000 Stellen fehlten schon, bevor die Million Flüchtlinge zu uns kam, bevor Hooligans randalierten und der IS-Terror begann. Obwohl wir immer wieder auf die Missstände hingewiesen haben, hatte die innere Sicherheit politisch keine besondere Bedeutung. Dabei ist sie ein zentraler Standortfaktor und Kernaufgabe des Staates. Aber die Landesparlamente haben entschieden, dass Personal bei der Polizei abgebaut wird. Es gibt zwar gelegentlich den pauschalen Hinweis, dass man die Aufgabenvielfalt der Polizei überprüfen und abbauen könnte. Viel ist dabei aber noch nicht passiert.

Finanzminister Schäuble hat kürzlich vorgeschlagen, dass die Bundeswehr Dienste im Inneren übernehmen könnte.
Soldaten werden nicht ausgebildet, um die innere Sicherheit zu gewährleisten. Dafür sind Polizisten da. Von ihnen wird eine hohe Stressresistenz und Sprachkompetenz abgefordert. Sie müssen mit den Bürgern umgehen können und ermitteln. Das lernen sie innerhalb von drei Jahren Studium. Da frage ich: Welche Aufgaben, bitteschön, sollte die Bundeswehr übernehmen, die die Polizei jetzt hat? Geht es um Objektschutz, Verkehrskontrollen oder Ermittlungen im strafrechtlichen Bereich?

Sie lehnen den Vorschlag kategorisch ab?
Ja. Wir haben nach den Terroranschlägen in Paris gesehen, wie in Brüssel tagelang Soldaten mit Langwaffen dastanden statt Polizisten mit einer Pistole. So etwas verändert die Republik und entspricht nicht unserer Rechtslage. Es gibt zwar Extremlagen wie Hochwasser, bei denen man die Unterstützung der Bundeswehr durchaus benötigt. Sie hat dann allerdings keine polizeilichen Befugnisse. 

Gibt es denn in Ihren Augen Aufgaben, die die Polizei abgeben könnte, um Kapazitäten für Wichtigeres zu schaffen?
Wir haben vorgeschlagen, bei der Begleitung von Schwertransporten auf der Straße die Polizei zu entlasten. Zurzeit gibt es viele solcher Transporte, insbesondere von Windkrafträdern. Auf politischer Ebene haben sich die Minister der Länder noch nicht einigen können.

Muss die Polizei denn die Fußballbundesliga so intensiv begleiten? Die Aufwendungen dafür sollen vergleichbar mit 1700 Vollzeitstellen sein. Müsste man dafür die Vereine nicht zur Kasse bitten?
Diese Idee wirft verfassungsrechtliche Fragen auf. In den Stadien sorgen die Vereine mit privaten Sicherheitsdiensten für die Sicherheit. Aber wieso soll ich als Gastgeber dafür verantwortlich sein, wenn ein Besucher auf dem Weg zum Stadion eine Straftat begeht? Und wie ist es mit den Karnevals- oder den Laternenumzügen, die Polizisten sichern? Wir begleiten mittlerweile sogar Fußballspiele in der fünften Liga, wo Zuschauer aufeinander losgehen. Wie gesagt: Die Belastung der Polizei ist schon viele Jahre da, und man hat keine Aufgaben umverteilt. Es ist im Gegenteil viel dazugekommen.

Seit der Kölner Silvesternacht wird offener diskutiert, wie hoch die Kriminalitätsraten in einigen Migrantengruppen sind. Ist das in Ihren Augen eine positive Entwicklung?
Die Debatte ist notwendig. Es geht uns dabei um die Bekämpfung von Ursachen und nicht um Stigmatisierung. Bisher haben wir als Polizei diese Diskussion aus Gründen der politischen Korrektheit nicht geführt, denn seit dem NSU-Untersuchungsausschuss wird uns institutioneller Rassismus vorgeworfen. Es heißt, wir seien auf dem rechten Auge blind und betrieben Racial Profiling, wenn wir in den Bahnhöfen bestimmte Personengruppen kontrollieren, von denen wir aber wissen, dass sie auf Diebstahl spezialisiert sind. Das müssen wir benennen dürfen.

Und seit Köln kann die Polizei so etwas sagen?

Ja. Allerdings wurde die öffentliche Diskussion nach Köln nur geführt, weil es dort so viele Sexualdelikte gegeben hat. Hätten wir die nicht gehabt, wären die anderen 500 Straftaten, nämlich Diebstähle und Raubdelikte, uninteressant geblieben. Wir brauchten dieses Ereignis – mit dieser Opfersituation –, um überhaupt darüber reden und klarmachen zu können, wie es hier aussieht. Aber die Problemlagen aufgrund von mangelnder Integration haben wir schon seit vielen Jahren.

Was bedeutet das, falls die Bevölkerung in diesem Jahr durch Flüchtlinge noch mal um Hunderttausende wächst und Integration nicht überall gelingt?
So viele Menschen bedeuten auch, dass wir etliche Straftäter mit ins Land bekommen, vielleicht rund zehn Prozent. Nicht, weil es Flüchtlinge sind. Sondern, weil da, wo Menschen zusammen sind, immer ein gewisser Anteil an Straftätern dabei ist. Wir werden ein Anwachsen von Straftaten haben, und es wird noch mehr Arbeit durch Registrierung, Grenzübertritte, Verstöße gegen das Asylgesetz und Abschiebungen geben. Diese Problemlage kommt erst noch und wird sich fortsetzen.

Kann man sagen, dass in Stadtteilen, in denen Integration nicht funktioniert, rechtsfreie Räume entstanden sind?
Es gibt keine Plätze, wo es kein Recht gibt. Die Regeln gelten überall. Die Frage ist: Wie kann ich kontrollieren, dass sie eingehalten werden? Denn es gibt Parallelgesellschaften, wo sich Gruppen verselbstständig haben. Sie versuchen, am Recht vorbei in bestimmten Bezirken die Straße zu übernehmen.

Wenn die Polizei etwa in Duisburg-Marxloh eine banale Kontrolle durchführen will, kann es sein, dass Clans schnell viele ihrer Mitglieder zusammenrufen und Beamte massiv bedrängen. Was kann man dagegen machen?
Wir können nur mit mehr Personal reagieren und unsere Personaldisposition neu ausrichten. Früher kam der Dorfsheriff ins Festzelt und sagte: Es wird sich nicht mehr geprügelt! Dann war Schluss. Heute müssen wir am Himmelfahrtstag neben den Streifen teilweise ganze Züge Bereitschaftspolizei zusätzlich einplanen, weil wir durch Alkohol aggressiv gewordene Menschen trennen müssen. Man braucht sogar mehr Personal, um bei Unfällen die Schaulustigen zurückzuhalten oder um Rettungskräften, die angegriffen werden, ihren Einsatz zu ermöglichen.

Kann angesichts dieser Aggressionsbereitschaft das zivile Leitbild „Die Polizei, dein Freund und Helfer“ erhalten bleiben? Oder müssen Polizisten, um sich und andere zu schützen, zu martialisch ausgerüsteten Rambos werden? 
Wir haben immer das Bürgerpolizei-Bild postuliert. Aber wenn ein Kollege selber Gewalt im Einsatz gespürt hat, wird er nicht mehr so offen und dem Bürger zugewandt sein können. Er wählt aus Eigensicherungsgründen mehr Abstand, hat vielleicht die Hand griffbereit über dem Holster oder zieht früher das Pfefferspray. Das führt zu einer anderen Polizei, die wir nicht wollen, die aber dadurch entsteht, dass sich Polizisten selber schützen müssen.

Wie geht es speziell den Polizistinnen im Dienst? Das Konzept der bürgernahen Polizei beinhaltet, dass Frauen bei der Schutzpolizei sind.
Ja, unter den Neueinstellungen sind immer rund 30 Prozent Frauen. Eine Studie zeigte, dass es zu weniger Gewalt auf der anderen Seite kommt, wenn Polizistinnen mit im Einsatz sind. Wenn dann doch massive körperliche Auseinandersetzungen passieren, haben es Frauen schwerer. Sie füllen in den Einsatzhundertschaften ihre Aufgabe super aus. Aber sie erleben mittlerweile auch Gewalt, Beleidigung und Sexismus ohne Grenzen durch gewalttätige und pöbelnde Leute in extremsten Situationen.

Wie erklären Sie sich die zunehmende Aggressivität?
Polizisten werden spürbar als Vertreter des Staates angegriffen. Sogar, wenn sie gar keine Maßnahme gegen den Bürger durchführen, sondern nur auf Streife gehen, werden sie beleidigt, angegriffen, mit Flaschen beworfen. Ich rede nicht über Duisburg, Köln, Berlin – wir haben diese Situation deutschlandweit. Überall verändert sich die Gesellschaft hin zu mehr Aggressivität, und wird der Staat infrage gestellt.

Dass der Staat und seine Vertreter so ein schlechtes Ansehen haben, könnte das auch eine Folge der neoliberalen Vorstöße hin zu einem schlanken Staat sein?
Ja, wir haben in den letzten Jahren oft gehört, dass der Staat und seine Bediensteten zu langsam wären und ihre Qualität zu schlecht sei. Private könnten das alles besser, hieß es. Wenn ich als Bürger diese Äußerungen dauernd in der Presse sehe, sage ich mir doch: Der Staat, was ist denn das für ein Gurkenverein?

Die Politik forciert jetzt die Schuldenbremse. Wie wirken sich im Alltag der Sparzwang und die politische Ignoranz gegenüber den Problemen der Polizei aus?
Dass die Polizei vonseiten der politisch Verantwortlichen schlecht behandelt wird, hängt wohl damit zusammen, dass es bisher keinen großen Crash des Systems gegeben hat. Polizisten haben ein hohes Berufsethos und wollen weder die Bürger noch die Kollegen im Regen stehen lassen. Es ist immer alles Sparen auf ihrem Rücken ausgetragen worden, und sie haben durch Improvisation und Überstunden möglich gemacht, dass alles weiterläuft. Ich rechne in den nächsten Jahren mit steigenden Zahlen, was Belastungssyndrome, Burn-out oder posttraumatische Störungen anbelangt.

Die Polizei in Bund und Land schiebt nach Ihren Berechnungen Überstunden in der Größenordnung von 9 000 Vollzeitstellen vor sich her, der Job wird härter: Gibt es noch genug junge Leute, die Polizist werden wollen?
Man kann nicht sagen, dass keiner mehr zur Polizei will. Menschen bewerben sich, weil sie einen abwechslungsreichen Beruf ergreifen und den Bürgern aus der Not helfen wollen. Die Realität holt sie ein, wenn sie nach der Ausbildung merken, in was für einer Mühle sie stecken. Trotz der hohen Bewerberzahlen kommen wir aber jetzt an unsere Grenzen, weil bald sehr viele Kollegen in den Ruhestand gehen werden.

Heißt das, die personelle Lage wird sich noch verschlimmern?

Das Problem ist, dass wir unser Personal nicht vom Arbeitsmarkt holen können, wir bilden selbst aus. Zählt man die aufwendigen Auswahlverfahren mit, dann dauert es vier Jahre, bis jemand fertig ausgebildet ist. Das heißt, was gestern versäumt wurde, kann nicht so einfach nachgeholt werden.

Die GdP, mit 176 400 Mitgliedern, die größte von drei Polizeigewerkschaften, hat den beachtlichen Organisationsgrad von 70 Prozent. Müsste man damit nicht die Beschäftigungsinteressen der Polizisten nachhaltiger vertreten können?
Tja, schon als GdP-Landesvorsitzender in Schleswig-Holstein habe ich mir manchmal gesagt: Ich rede schon so lange über die gleichen Probleme, was kann ich bloß tun, um mich begreiflicher zu machen? Grundsätzlich haben wir diesen hohen Organisationsgrad, weil wir als Gewerkschaft ganz häufig Sprachrohr für die Polizei insgesamt sind. Wir sind nicht in die Hierarchie und Loyalitäten eingebunden und können frei sagen, was wir meinen. Deshalb haben wir gerade im höheren Dienst sehr viele Mitglieder.

Hat die Diskussion nach Köln für die Polizei einen positiven Effekt?
Ich habe die Hoffnung, dass die innere Sicherheit jetzt über die kurzfristigen Wahlkampfzyklen hi­naus den Stellenwert bekommt, den sie im Interesse der Bürger verdient – und dass die Politik daraus auch ableitet, welche Unterstützung und Ausstattung die Polizei braucht.

Zur Person
Oliver Malchow begrüßt zum Interview in seinem Büro im Berliner Stadtteil Moabit. Als Bundesvorsitzender führt der 52-Jährige seit Mai 2013 die Gewerkschaft der Polizei, bei der weit über die Hälfte der rund 320 000 Beschäftigten im Polizeisektor Mitglied sind. Der Kriminaloberrat ist ein Nordlicht. Er beginnt sein Studium an der Verwaltungsfachschule Altenholz/Kiel, arbeitet als Ausbilder und absolviert die Polizeiführungsakademie in Münster/Hiltrup. Er leitete diverse Dienststellen der Kriminalpolizei und hatte 16 Jahre den Vorsitz im GdP-Landesvorstand in Schleswig-Holstein. Nach einer schweren Krankheit 2015 kehrte er Anfang 2016 zurück in den Dienst für die GdP – und ist seit den Übergriffen in der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof mit seinen unaufgeregten, sachlichen Analysen gefragter Interviewpartner zahlreicher Medien.

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