Lobbyismus im Klassenzimmer

Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände nehmen viel Geld in die Hand, um in Schulen für ihre Sicht auf Wirtschaft, Finanzen und Arbeitsleben zu werben. Klamme öffentliche Haushalte machen es den Lobbyisten leicht.

Früh übt sich, wer mal ein richtiger Homo Oeconomicus werden soll. Das haben sich vermutlich die Lobbyisten des Allianz-Konzerns gedacht, als sie die Schul-Initiative „My finance coach“ (Mein Finanzcoach) ins Leben riefen. Ihr Ziel soll sein, SchülerInnen den richtigen Umgang mit Geld beizubringen. Dafür bietet die Initiative kostenlose Unterrichtseinheiten ab der fünften Klasse an. FinanzexpertInnen besuchen den Unterricht, geben den SchülerInnen Tipps für den richtigen Umgang mit Geld. Diese sollen so für „reflektierte Kaufentscheidungen“ sensibilisiert werden. Zudem stellt die Initiative kostenlose Unterrichtsmaterialien zur Verfügung, schreibt einen Bundeswettbewerb „Finanzen“ aus und schult LehrerInnen zu Finanzthemen.

Unmittelbarer Zugriff der Konzenmitarbeiter

Glaubt man den Angaben der Initiative, dann haben in den vergangenen fünf Jahren mehr als 3000 LehrerInnen an den hauseigenen Fortbildungen teilgenommen. 750000 SchülerInnen will „My Finance Coach“ bisher erreicht haben. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) kritisiert den unmittelbaren Zugriff der KonzenmitarbeiterInnen auf die Schülerschaft. „Ob hier objektiv und interessensneutral informiert wird, darf zumindest bezweifelt werden“, heißt es in einer Analyse. Lobbyismus-KritikerInnen nennen diese Form der langfristigen Einflussnahme „deep lobbying“ – also eine frühe Beeinflussung von Einstellungen, Stimmungen und Diskursen. Wer bereits in jungen Jahren von Produkten und Einstellungen überzeugt wird, lässt sich auch später nicht so leicht vom einmal Gelernten abbringen.

Dankbar für jede Unterstützung

Kritisch sehen Gewerkschaften und Lobby-KritikerInnen deshalb auch so genannte öffentlich-private Partnerschaften im Bildungsbereich. Unternehmen oder Verbände treten dort als Sponsoren von Schulen auf. In Zeiten knapper öffentlicher Bildungsetats sind viele SchuldirektorInnen dankbar für jede Unterstützung. Allerdings sind die Grenzen zwischen uneigennütziger Hilfe und gezielter Einflussnahme fließend. So kritisiert die Initiative LobbyControl den Energiekonzern RWE für sein Engagement an Schulen in NRW. Mit Schulkooperationen, Unterrichtsmaterialien und Schulsponsoring wolle der Energieriese seinen Ruf unter den SchülerInnen aufpolieren. 26000 Menschen unterschrieben bislang einen Aufruf von LobbyControl, um die Aktivitäten von RWE an den Schulen zu stoppen.

Mehr Werbemittel als objektive Unterrichtshilfen

Die von Verbänden und Unternehmen produzierten Schulpublikationen sind häufig mehr Werbemittel als objektive Unterrichtshilfen. Laut dem vzbv werde häufig versucht, Branchen in einem guten Licht darzustellen, Kritikpunkte zu verschweigen oder einfach Produktwerbung zu machen. Ein Beispiel ist das von der Volkswagen AG herausgegebene Material „Mobil im Klimaschutz“. Im Vorwort werde suggeriert, so der vzbv, dass sich das Material mit nachhaltiger Mobilität beschäftigt, thematisiert werden dann aber nur der Auto- und Flugverkehr.

Imagesorgen der Arbeitgeber

Wie wichtig Verbänden und Unternehmen ihr Image im Klassenzimmer ist, zeigt das Vorgehen der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) gegen ein Schulbuch der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). In der bpb-Publikation „Ökonomie und Gesellschaft“ befasst sich ein Beitrag kritisch mit dem Thema Lobbyismus von Unternehmen an Schulen – zu viel für die BDA. In einem Brief an das Bundesinnenministerium lässt sie ihrem Unmut freien Lauf: Das Buch „Ökonomie und Gesellschaft – Zwölf Bausteine für die schulische und außerschulische Bildung“ zeichne ein „monströses Gesamtbild von intransparenter und eigennütziger Einflussnahme der Wirtschaft auf Politik und Schule“ und solle nicht länger vertrieben werden, so die BDA. Ohne nähere Prüfung wies das Ministerium die bpb im Sommer vergangenen Jahres an, den Vertrieb des Buches zu stoppen.

„Tiefpunkt politischer Kultur“

Für die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack markierte das Vorgehen der BDA einen „Tiefpunkt politischer Kultur“. Es sei ein historisch einmaliger Vorgang, dass das Bundesministerium des Innern auf Zuruf der BDA ein unliebsames Buch ohne eingehende fachliche Prüfung der Kritik vom Markt nimmt, so Hannack. Mittlerweile hat der Wissenschaftliche Beirat der bpb das Buch als bedenkenlos eingestuft, und die Restauflage ist wieder über die Homepage zu erhalten.

Werbefreie Bildung

In Baden-Württemberg haben sich Politik, DGB und Arbeitgeberverbände auf einen gemeinsamen Verhaltenskodex geeinigt, der die Zusammenarbeit zwischen Schulen, Wirtschaft, Sozialpartnern, Kammern und Wohlfahrtspflege regelt. Unter anderem sollen mehr Transparenz über die Herausgeber von Unterrichtsmaterialien hergestellt und einseitiger Lobbyeinfluss verhindert werden. „Einseitige Lobbyarbeit und Werbung haben an den Schulen im Land nichts zu suchen“, sagt der DGB-Bezirksvorsitzende Nikolaus Landgraf.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.