LINKE startet Kampagne für die Grundrechte

Seit Juni 2005 hat die Polizei das Recht, aufgrund ihrer „Lageerkenntnisse“ sogenannte Gefahrengebiete zu definieren, in denen sie „Personen kurzfristig anhalten, befragen, ihre Identität feststellen und mitgeführte Sachen in Augenschein nehmen“ darf (§ 4 Abs. 2 PolDVG). Seitdem hat die Polizei 38 Gefahrengebiete auf die Stadtkarte gezeichnet, in denen letztlich die Grundrechte eingeschränkt sind. Die LINKE hat eine Kampagne dagegen gestartet.

In ihrer Pressemitteilung heißt es:

Ganze Stadtteile unterliegen dem polizeilichen Ausnahmezustand, um Identitätsfeststelllungen, Befragungen, Durchsuchungen, Platzverweise und Aufenthaltsverbote zu begründen. Aktuell bestehen acht Gefahrengebiete in Bergedorf und Nettelnburg,
Lurup, Osdorf, Schanzenviertel, St. Georg, St. Pauli, St. Pauli (Vergnügungsviertel) und St. Pauli Nord.

Die gesetzliche Grundlage für diese verdachtsunabhängigen Kontrollen wurde mit dem „Gesetz zur Erhöhung der Sicherheit und Ordnung“ vom 16. Juni 2005 geschaffen, das die CDU-Bürgerschaftsfraktion als „schärfstes Polizeigesetz in Deutschland“ feierte.

Christiane Schneider, innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE: „Gefahrengebiete konstruieren einen Generalverdacht gegenüber Menschen, die sich in bestimmten Stadtteilen aufhalten, die dort leben, wohnen oder arbeiten. Sie sind die Voraussetzung für verdachtsunabhängige Personenkontrollen, die einen gravierenden Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung darstellen. Besonders betroffen sind Flüchtlinge, MigrantInnen und Jugendliche, die in armen Stadtteilen leben und von der Polizei als ‚Bürger zweiter Klasse‘ diskriminiert werden.“

Die Kampagne „Grundrechte verteidigen – Gefahrengebiete aufheben!“ will die Bürger- und Menschenrechte stärken und richtet sich gegen die Konzeption eines präventiven Überwachungsstaats. Auf der Homepage www.grundrechte-kampagne.de haben wir die acht aktuellen Gefahrengebiete und die 30 bereits aufgehobenen Gefahrengebiete geographisch dargestellt und informieren über die Polizeipraxis sowie die Hintergründe der Hamburger Polizeigesetze.

Die Bürgerschaftsfraktion DIE LINKE hat vier Kleine Anfragen zur Thematik der Gefahrengebiete gestellt: Gefahrengebiete in Hamburg 19/2110, Gefahrengebiete II 19/2659, Gefahrengebiete III 19/2812 sowie Senatsanwort zu 19/2812, Gefahrengebiete IV 19/2835 sowie Senatsantwort zu 19/2835.

Die Innenbehörde hat seit dem 05.12.2006 halb Bergedorf und Nettelnburg zu Gefahrengebieten deklariert und seitdem 6.993
Personen verdachtsunabhängig festgehalten, 872 Personen verdachtsunabhängig durchsucht, 225 Platzverweise erteilt und 19
Personen sind in Gewahrsam genommen worden. Aufgrund dieser Kontrollen wurden 153 Ermittlungsverfahren eingeleitet. Auskunft über den Ausgang dieser Verfahren will der Senat in der Antwort auf die Kleine Anfrage 19/2835 nicht geben, sondern offenbart sogar die kriminologischen Defizite der Innenbehörde mit der Formulierung: „Die zur Beantwortung benötigten Daten werden nicht gesondert statistisch erfasst.“

Die Zahlen aus dem Zeitraum 2. Halbjahr 2005 bis 30.3.2009 aus St. Georg sind besonders drastisch: 22.412 festgehaltenen Personen, 29.840 Identitätsfeststellungen, 38.587 Platzverweise, 53.181 Aufenthaltsverbote und 7.771 Ingewahrsamnahmen. Auch hier liegen dem Senat keine Zahlen vor, wie viele der 23.375 Ermittlungsverfahren welchen Verfahrensausgang genommen haben.

Die Polizei speichert die personenbezogenen Daten der Bürgerinnen und Bürger bei Identitätsfeststellungen in Gefahrengebieten für die Dauer von drei Monaten in der Datei „ComVor-Index“ (computergestützte Vorgangsverwaltung). In der Datei „Offene Drogenszene“ werden die Daten von DrogenkonsumentInnen hingegen für einen Zeitraum von maximal 24 Stunden gespeichert.

Skandalös ist auch die Praxis der Innenbehörde parallel zu Demonstrationen die Innenstadt oder auch die Hafencity als
Gefahrengebiete zu deklarieren, um verdachtsunabhängige Kontrollen durchzuführen. Beispielsweise wurden am 15.12.2007 in der Innenstadt 730 Personen mit dem Hinweis auf ein Gefahrengebiet aufgehalten und 34 Durchsuchungen durchgeführt. Zur Begründung diente der Innenbehörde ihre eigene Lageerkenntnis „Versammlung mit einem prognostisch gewaltsamen Verlauf“, obwohl die Veranstalter vor dem Verwaltungsgericht Hamburg eine Demonstrationsroute durch die Innenstadt rechtlich erfolgreich durchgesetzt hatten.

DIE LINKE fordert die Aufhebung aller Gefahrengebiete:

* Gefahrengebiete ermöglichen der Polizei verdachtsunabhängig die Identität von Personen festzustellen, sie anzuhalten, zu
befragen und zu durchsuchen,

* die Polizei hat die Definitionsmacht darüber, ob ein Gebiet als Gefahrengebiet ausgewiesen wird, und entscheidet damit
selbständig über die Ausweitung ihrer Eingriffsbefugnisse,

* ohne konkrete Verdachtsmomente existieren keine sinnvollen Kriterien für die Auswahl der zu kontrollierenden Personen. Die
Ermittlungstätigkeit wird im Wesentlichen von Vorurteilen geleitet und als Folge davon bestimmte Personengruppen, insbesondere Flüchtlinge, MigrantInnen, DrogenkonsumentInnen und DemonstrantInnen diskriminiert und kriminalisiert,

* die Ursachen von Kriminalität werden durch die Konstruktion von Gefahrengebieten nicht behoben. Es erfolgt ein
Zuschreibungsprozess, der die Stadtteile als „Gefährliche Orte“ stigmatisiert und die Vertreibung „unerwünschter Personen“ mit
Hilfe von Platzverweisen und Aufenthaltsverboten rechtfertigen soll.

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