Krümmel: Kopf in den Sand und Atmung einstellen

Findet der schöne alte amerikanische Lehrfilm „Duck and Cover“ * bald einen festen Platz in Hamburgs Grundschulen? Viel mehr als die darin enthaltenen Lehren hat der Senat jedenfalls nicht zu bieten, wenn es um Vorsorge für den Fall eines Reaktorunfalls in Krümmel geht. Die SPD spricht deshalb von „Vogel-Strauß-Politik im Senatsgehege“ – Schwarz-Grün ignoriert die brisante Greenpeace-Studie über Krümmel.

Die SPD-Bürgerschaftsfraktion hat dem CDU-GAL-Senat vorgeworfen, eine Studie der Umweltschutzorganisation Greenpeace zu den Folgen eines schweren Störfalls im Atomkraftwerk Krümmel zu ignorieren. „Die Studie bewertet die Folgen eines schweren Störfalls weit schlimmer als der Senat das bislang tut. Der Senat weigert sich aber, sich mit der Studie auch nur zu befassen. Diese Vogel-Strauß-Politik im Senatsgehege ist völlig verantwortungslos“, sagte die SPD-Umweltexpertin Monika Schaal. Sie bezog sich bei ihrer Kritik auf die Antwort des Senats auf eine kleine Anfrage (Link auf die Greenpeace-Studie siehe unten). SPD-Innenexperte Andreas Dressel wies auf „schier unlösbare Probleme für den Hamburger Katastrophenschutz“ hin, die sich bei einem schweren Störfall in Krümmel ergeben würden.

Der Greenpeace-Studie zufolge müsste Hamburg nach einem schweren Reaktorunfall im Atomkraftwerk Krümmel binnen drei Stunden evakuiert werden. Bislang hieß es, Hamburg habe bei einem GAU 20 Stunden Zeit für eine Evakuierung. „Der Neubewertung nach könnte ein schwerer Störfall in Krümmel weit dramatischere Folgen haben als bislang angenommen. Dass der Senat diese Neubewertung ignoriert, ist nicht akzeptabel“, kritisierte Schaal. Offenbar verweigere Schwarz-Grün die Auseinandersetzung mit der Greenpeace-Studie, weil die Differenzen zwischen CDU und GAL in der Atompolitik sonst aufbrechen würden. „Krümmel darf nicht zum Störfall für Schwarz-Grün werden. Deshalb steckt Schwarz-Grün den Kopf in den Sand – was insbesondere der GAL eigentlich peinlich sein müsste“, sagte Schaal.

Die Studie – erstellt von Prof. Oda Becker von der Fachhochschule Hannover – sei dem Hamburger Senat zwar bekannt. Konsequenzen habe er daraus aber nicht gezogen. „In seiner Antwort räumt der Senat sogar ein, sich nicht einmal mit ihr befasst zu haben“, kritisiert Schaal. Für den SPD-Innenexperten Andreas Dressel ist diese Antwort neuer Beleg dafür, dass die GAL in der Diskussion über die Zukunft von Krümmel ihren bislang strikten Anti-Atom-Kurs aufgeweicht hat. Er wies darauf hin, dass die GAL-Fraktion – gemeinsam mit der CDU – die Forderung nach der Stilllegung von Krümmel in der Bürgerschaft nicht mitgetragen, sondern Vattenfall ein weiteres Mal eine Bewährung eingeräumt habe. Am Tag darauf habe die GAL vor der Vattenfall-Zentrale in der Mönckebergstraße aber für die „sofortige Abschaltung von Krümmel“ demonstriert. „Das passt nicht zusammen“, sagte Dressel. Die Hamburger GAL-Fraktion befinde sich mit ihrem Abstimmungsverhalten auch in „krassem Widerspruch“ zur Fraktion der Grünen im Schleswig-Holsteinischen Landtag. Diese hatte sich am 17. September im Landtag für die sofortige Abschaltung von Krümmel ausgesprochen – gemeinsam mit SPD und Südschleswigschem Wählerverband.

Dressel sagte, eine Evakuierung Hamburgs innerhalb von drei Stunden nach einem schweren Unfall in Krümmel sei schon mit Blick auf die bestehenden Kommunikationsstrukturen undenkbar. Er verwies darauf, dass die Behörden bei der letzten Katastrophenschutzübung zum Thema Störfall „Optimierungsbedarf“ in der Kommunikation eingeräumt hätten. „Selbst wenn die Kommunikation reibungslos verlaufen würde, stünden die Einsatzkräfte vor unlösbaren Problemen. Auch deshalb ist es unverantwortlich, dass der Senat die Greenpeacestudie einfach beiseite schiebt und sie nicht einmal zu bewerten bereit ist“, sagte Dressel. Ein entsprechender Unfall könne nicht nur durch technische Störfälle sondern auch durch äußere Einflüsse wie einen Flugzeugabsturz oder einen Terroranschlag ausgelöst werden. Dressel verwies darauf, dass das Bundeskriminalamt das Risiko eines Terroranschlags aus der Luft nicht ausschließt. Auch darum dürfe der Reaktor vor den Toren Hamburgs nicht wieder ans Netz, betonte der Abgeordnete.

Besorgt zeigen sich Dressel und Schaal auch darüber, dass die letzte Katastrophenschutzübung im Zusammenhang mit einem Reaktorunfall 2005 stattgefunden hat. Auf die Frage, ob das ausreiche, gibt der Senat zu, dass er sich damit nicht befasst habe, sieht aber auch keinen Anlass, von der „bisher praktizierten Form der Zusammenarbeit“ abzuweichen.

Skeptisch zeigten sich Dressel und Schaal auch der Senatsmeinung gegenüber, dass das „Verbleiben im Haus“ bei einer erfolgten Freisetzung von Radioaktivität den „größtmöglichen Schutz“ bietet. „Eine Räumung erst nach Durchzug der radioaktiven Wolke löst das Problem nicht. Denn die Menschen wären bereits eineinhalb Stunden nach Austreten der Radioaktivität aus dem Reaktor in Krümmel laut Greenpeace allein durch die Atemluft einer Strahlendosis von 1900 Millisievert ausgesetzt. – Das entspricht dem 19-fachen Grenzwert für eine Evakuierung.“

Hier der Link zur Greenpeace-Studie.

* Duck and Cover: US-amerikanischer Lehrfilm für Kinder im Grundschulalter aus dem Jahr 1951, in dem den Kindern gezeigt wird, dass man sich im Falle einer Atombombenexplosion einfach auf den Boden werfen und den Schulranzen über den Kopf halten soll. „Aktentasche auf dem Kopf“ galt in Zeiten des Kalten Krieges auch in Deutschland als probates Mittel gegen die atomare Bedrohung.

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