Kita-Politik wird jetzt vor Gericht ausgetragen

Das Arbeitsgericht hat in einer einstweiligen Verfügung gegen mögliche weitere Kita-Streiks den Arbeitgebern Recht gegeben, die in Hamburg ein Streikverbot durchsetzen wollten. Nach Ansicht des Gerichts verstößt nur die Forderung nach der Einführung von Gesundheitszirkeln gegen höherrangiges
Recht. Auch wenn nur eine Tarifforderung rechtswidrig sei, dürfe insgesamt nicht zum Streik aufgerufen werden. Die Auseinandersetzung um die Gesundheitsvorsorge für ErzieherInnen beschäftigte heute auch die Bürgerschaft.

Die GEW in Hamburg und der Bundesvorstand, die beide verklagt waren, werden nach Prüfung der Entscheidungsgründe darüber beraten, ob sie Berufung gegen die Entscheidung einlegen. Einen Streikaufruf hatte es bis dato nicht gegeben. Die GEW wird aber die Tarifauseinandersetzung um einen
Gesundheitstarifvertrag auch in Hamburg fortsetzen. Sie ist dabei in die Verhandlungen und Arbeitskämpfe auf Bundesebene einbezogen.

Klaus Bullan, Vorsitzender der GEW in Hamburg, kritisierte das Arbeitsgericht: „Es kann nicht sein, dass schon die umstrittene Rechtsmäßigkeit einer Teilforderung dazu führt, dass ein Arbeitskampf generell untersagt wird. Das Streikrecht ist ein hohes Gut und darf nicht vorab von Gerichten eingeschränkt werden, wenn klar ist, dass die Forderung insgesamt sehr wohl tariffähig ist. Wie eine Tarifvertrag künftig aussehen wird, sollte in Verhandlungen, aber nicht vorab vor den Gerichten geklärt werden“, so Bullan weiter.

Die GEW fordert die Politik in Hamburg und in den Gemeinden bundesweit auf, endlich ein Angebot vorzulegen, das den gestiegenen Anforderung an die
Tätigkeiten und den gestiegenen Belastungen Rechnung trägt. Bildung ist mehr wert, so lautet der Slogan der GEW und so lautet das Motto der Beschäftigten in den Kitas und sozialen Einrichtungen.

In der Bürgerschaft sprachen zum Thema unter anderem Carola Veit (SPD) und Kersten Artus (LINKE). Wir dokumentieren die Manuskripte:

Carola Veit:

(Anrede)

Herr Senator Wersich, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, wissen Sie eigentlich, was ein „Krippenknie“ ist? Nein? Das habe ich mir gedacht. Ein Krippenknie ist eine anerkannte Berufskrankheit bei älteren Krippenerzieherinnen, die mit über 50 Jahren noch immer in viel zu großen Krippengruppen auf dem Fußboden herumkriechen müssen und sich dabei schwerwiegende gesundheitliche Schäden zuziehen.

Meine Damen und Herren,

Sie haben in den vergangenen Jahren den im Grunde durchaus lobenswerten Ausbau der Kinderbetreuung in hohem Maße auf dem Rücken der Beschäftigten betrieben. Die Zahl der Kinder im Betreuungssystem ist gestiegen, aber die Zahl der Beschäftigten ist bei weitem nicht in gleichem Maße mitgestiegen. Erzieherinnen müssen sich heute um deutlich mehr Kinder kümmern als vor zehn Jahren.

Da steigen Lärmpegel und Stress, da steigt sogar die Zahl der Grippeinfektionen, weil mehr Kinder auch mehr Keime in die Gruppen tragen. Burn-Out, Tinitus, Hörstürze, psychische Erkrankungen, Muskel- und Skeletterkrankungen – die Liste ließe sich fortsetzen. Der hohe Krankenstand spricht für sich. Sie kümmern sich nicht um die Gesundheit der Menschen, für deren engagierte Arbeit SIE sich hinterher feiern lassen SIE vernachlässigen Ihre Fürsorgepflicht, Herr Senator!

Und wenn die Beschäftigten mit ihren Gewerkschaften versuchen, Verbesserungen zu erreichen, dann verweigern Sie erst die Verhandlungen und gehen schließlich gerichtlich dagegen vor, wenn die Arbeitnehmerinnen von ihrem Streikrecht Gebrauch machen. Das ist schäbig, Herr Senator, meine Damen und Herren!

Senator Wersich und die CDU stehen für Kita-Ausbau auf Kosten der Arbeitsbedingungen und der Qualität. Sie stehen für Masse statt Klasse!

Dabei – das betonen auch Sie in Ihren Sonntagsreden gern – ist frühkindliche Bildung mitentscheidend für den Erfolg, den Kinder im Leben haben. Wenn Sie die Kinder mit zwei, drei, vier Jahren in zu große und schlecht ausgestattete Kitagruppen schicken, Herr Senator, dann nehmen Sie ihnen Chancen fürs Leben, und das ist das genaue Gegenteil dessen, wofür wir Sie hier vereidigt haben!

Meine Fraktion hat bei den Haushaltsberatungen beantragt, wenigstens für Kinder in sozial benachteiligten Gebieten kleinere Kitagruppen zu schaffen. Die Bildungsbehörde macht das so, in den KESS-1- und KESS-2-Gebieten sind die Klassenfrequenzen in den Grundschulen niedriger. Dort leistet man sich im Interesse einer größeren Chancengleichheit viele teure Lehrerstunden, und Sie haben für die Kitas nicht einmal ein paar preisgünstige Erzieherstunden übrig, meine Damen und Herren.

Im Bürgerschaftswahlkampf hat der Bürgermeister noch gesagt, die soziale Spaltung der Stadt sei eine Erfindung der SPD. Jetzt hat diese Aussage eine Variation bekommen – so ungefähr „Wir würden ja gern, aber die Wirtschaftskrise“.

Herr Bürgermeister, denken Sie nicht so platt von der Hand in den Mund, denken Sie doch mal an „Wachsen mit Weitsicht“! Da hat das Ihrer Partei durchaus nahe stehende Institut der Deutschen Wirtschaft Ihnen das Denken sogar schon abgenommen. Das IW plädiert vehement für verstärkte frühkindliche Förderung, auch für eine weitgehende Qualifizierung der Beschäftigten, und – Herr Freytag aufpassen! – und das IW errechnet dafür eine langfristige Rendite von acht Prozent.

Damit auch wir Juristen diese Renditeüberlegungen verstehen, sage ich es noch einmal schlichter: Wer eine gute Kita hatte, schafft die Schule besser, findet leichter einen Job, ist weniger von Arbeitslosigkeit betroffen und liegt dem Staat später weniger stark auf der Tasche!

Kersten Artus:

Herr Präsident, sehr geehrte Herren und Damen,

gesund sind viele Erzieher und Erzieherinnen nicht, der hohe Krankenstand spricht für sich. Und neben gestiegenen Anforderungen sind die Gruppen heute wieder so groß wie zuletzt 1978. Deswegen muss es verbindliche Regelungen zur Gesundheitsförderung geben, deswegen gehen die Beschäftigten, vornehmlich Frauen, dafür auf die Straße.
Worin bestehen die gestiegenen Anforderungen?

Zum Beispiel die Altersmischungen: Sie bewirken, dass die Gruppen ständig voll sind. Und durch das Gutscheinsystem und die unterschiedlichen Stundenkontingente ist zudem ein Kommen und Gehen in den Gruppen. Es herrscht ständige Hektik. Der hohe Krankenstand wird zudem personell nicht ausgeglichen, sodass dann eine Doppelbelastung für die – noch – arbeitsfähige Kollegin oder den arbeitsfähigen Kollege besteht.

Es gibt außerdem zwar Vorbereitungszeit, um die verbindlichen Bildungspläne auch kompetent umzusetzen, aber es handelt sich nicht um kinderfreie Zeit. Die Kollegin, der Kollege wird also ständig gestört oder muss damit rechnen, gestört zu werden. In den Krippen müssen die Kolleginnen ständig heben, sich beugen, auf dem Boden sein. Bei der Übergabe der der Kinder kommt es oft zu stressigen Abschiedssituationen. Oft müssen Bollerwagen voller Kinder gezogen werden.

Weitere gestiegene Anforderungen bestehen auch durch das gestiegene Berichtswesen. Dies erfolgt ebenfalls ohne Personalaufstockung. Aber: Die Jugendämter, der ASD, verlangen zu Recht Berichte, auch die Politik, wie wir sie ja als Abgeordnete im Familien-, Kinder- und Jugendausschuss fordern.

Der DGB-Index Gute Arbeit hat zudem ergeben, dass nur 26 Prozent aller Erzieherinnen davon ausgehen, ihren Beruf gesund bis zur Rente ausüben zu können. Der Durchschnitt bei den Berufen im Dienstleistungssektor beträgt aber 54 Prozent! Der Erzieherinnenberuf ist der am schlechtesten bewertete Beruf!

Derzeit entscheiden die Arbeitgeber weitgehend allein, was an Maßnahmen zur Beseitigung der Gefährdung geschieht. Ein Rechtsanspruch bedeutet aber, im Zweifelsfall gesund erhaltende Maßnahmen einklagen zu können. Das ist zum Beispiel eine schalldichte Wand oder ein Besprechungsraum, in dem die Erzieherinnen nicht auf Kinderstühlen sitzen müssen.

Zur Gesundheitsförderung gehört aus meiner Sicht auch, ein vernünftiges Entgelt zu zahlen. Denn alle Statistiken sagen es: Wer zu wenig verdient, ist kränker als ein Mensch mit einem fairen Einkommen.

Noch mal was zum Lärm in einer Kita: Es wurde schon 117 Dezibel gemessen. Das entspricht im Vergleich einer Lautstärke, als wenn Sie Hundert Meter weit weg von einem startenden Düsenjet stehen. Rufen Sie mal in einer Kita zur Hochzeit an – sie werden den Hörer vermutlich einen halben Meter von ihrem Ohr weg halten.

Deswegen, sehr geehrte Herren und Damen, müssen die Erzieherinnen und Erzieher einen Rechtsanspruch auf Gesundheitsförderung bekommen.

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