Kein Schutz vor Obdachlosigkeit

OBDACHLOS.jpegDie SPD-Bürgerschaftsfraktion hat den Senat auf Defizite bei der Verhinderung von Obdachlosigkeit hingewiesen. „Eineinhalb Jahre nach der Einführung des Fachstellenkonzeptes hat sich an der Brisanz dieses Themas nichts geändert. Vom Ziel des Fachstellenkonzepts, Zwangsräumungen zu vermeiden, sind wir weit entfernt“, sagte Grund bei der Vorstellung der Studie „Betroffene von Räumungsklagen und Verbleib von Zwangsgeräumten“.

Er untermauerte seine Einschätzung mit aktuellen Zahlen. So habe es in den letzten fünf Jahren rund 6000 Räumungsklagen jährlich gegeben, rund 4000 Räumungsaufträge und über 2000 Räumungen. „Täglich werden in Hamburg sechs Wohnungen geräumt. Täglich verlieren Menschen ihr Obdach“, sagte Grund.

Zwar sei die Zahl der eingegangenen Räumungsklagen, Räumungsaufträge und durchgeführten Räumungen mittelfristig leicht zurückgegangen. „Dennoch sind Politik und Gesellschaft weiter in der Pflicht, hier aktiv zu werden, um möglichst viele Menschen vor dem Verlust ihrer Wohnung zu bewahren.“ Grund machte Empfehlungen der Studie folgend eine Reihe von Vorschlägen, die den Sturz in die Obdachlosigkeit verhindern helfen sollen.

Die vorgestellte Studie – erstellt vom Institut für Ethnologie der Universität Hamburg – offenbare aus Sicht von Grund „Mängel bei der Umsetzung des Fachstellenkonzeptes für Obdachlose und von Obdachlosigkeit betroffene Menschen“. Viele Räumungen, so der SPD-Fachmann für den Problembereich Armut und Obdachlosigkeit, könnten verhindert werden, wenn die Fachstellen personell besser besetzt wären und die Zusammenarbeit zwischen Justiz und Gerichtsvollziehern optimiert würde.

Umgekehrt, betonte Grund, nähmen viele Betroffene vorhandene Hilfen nicht oder viel zu spät in Anspruch. „Besonders gefährdet von Zwangsräumungen sind Suchtkranke oder Menschen mit psychischen Störungen“, sagte Grund. Die Ursachen, die zu einer Zwangsräumung führten, lägen in Arbeitslosigkeit, Schulden, fehlendem günstigen Wohnraum und individuellen Problemen der Betroffenen. „Dieses Problemgeflecht führt dazu, dass viele Menschen nicht mehr in der Lage sind, in einer als hoffnungslos empfundenen Situation Hilfe aufzusuchen.“

Die Studie habe vor allem deutlich gemacht, „dass die Betroffenen nicht genügend von den Hilfsangeboten erreicht werden oder nicht auf sie zugehen“, sagte Grund. Ob jemand in Hamburg obdachlos wird, sei davon abhängig, ob die Person in der Lage ist, Perspektiven für die Zeit nach einer Zwangsräumung zu entwickeln.

„Vieles hängt von der Fähigkeit des Einzelnen ab. Davon, ob die Person in funktionierenden sozialen Netzwerken lebt oder Zugang zu vorhandenen Beratungsangeboten findet. Nach derzeitigem Stand landen eben jene auf der Straße, für die beides nicht gilt.“ Deshalb müsse sich die Hilfe in Hamburg noch viel mehr auf diese Menschen konzentrieren.

Grund bezeichnete Zwangsräumungen als „gravierenden, häufig traumatisierenden Einschnitt in das Leben der Betrofffenen“. Es sollte alles versucht werden, sie in ihren Wohnungen zu lassen. Grund stellte in diesem Zusammenhang einen Maßnahmenkatalog vor. So müssten die Fachstellen – nicht zuletzt durch personelle Verstärkung – in die Lage versetzt werden, die im Konzept aufgeführten Aufgaben auch zu erfüllen. Zu wenige von Zwangsräumungen Betroffene würden vor Vollzug der Räumung erreicht. Um das zu ändern, müsse etwa der aufsuchenden Arbeit Priorität eingeräumt werden.

Der SPD-Abgeordnete sprach sich ferner für eine bessere Kommunikation der Behörden untereinander aus. Das betreffe etwa Fachstellen und Gerichte, aber auch den Kontakt zwischen Fachstellen und Betroffenen. „Wir brauchen mehr Mitarbeiterqualifizierung und -motivierung“, sagte Grund.

Die vorgelegte Studie arbeite auch heraus, dass juristische Möglichkeiten, eine Räumung zu verhindern, nur unzureichend genutzt werden. Diese Optionen müssten von den Behörden effektiv genutzt werden.

So hätten etwa Gerichtsvollzieher erhebliche Möglichkeiten, wenn an der Prozessfähigkeit der Schuldner gezweifelt wird. Entsteht – etwa aufgrund des Zustands der Wohnung oder des Verhaltens der Schuldner – der Eindruck, dieser sei nicht prozessfähig, muss die Räumung unterbrochen werden, bis der Schuldner durch einen Betreuer vertreten wird.

Gerichtlich kann eine Räumung ganz oder teilweise aufgehoben oder untersagt werden, wenn sie wegen besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist (Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO). Diese Räumungsfrist wegen sittenwidriger Härte greift in der Regel bei Pflegebedürftigkeit, Krankheit oder Behinderung und muss vom Schuldner beantragt werden.

Besondere Defizite sieht die SPD-Bürgerschaftsfraktion in der nach wie vor zu geringen Erfolgsquote in der Wohnungsvermittlung. Trotz der großzügigen Zugeständnisse an potenzielle Vermieter steige die Anzahl der Wohnungslosen in den Unterkünften. Ein strukturelles Problem bestehe darin, dass Personen, deren Wohnungsverlust nicht verhindert werden kann, nicht direkt eingestuft und in anderen Wohnraum vermittelt werden, sondern zunächst in einer öffentlichen Unterbringung leben müssen.

Grund begrüßte die Entscheidung der Sozialbehörde, zukünftig wieder einen aktuellen Bericht über die soziale Lage in Hamburg aufzulegen. „Die Sozialsenatorin hat sich lange geweigert, diesen Bericht fortzuschreiben. Ich hoffe, dass die im Bericht enthaltenen Daten zu den richtigen Kurskorrekturen in der Politik der Behörde führen“, sagte der SPD-Sozialpolitiker.

Er sprach sich darüber hinaus für mehr bezahlbaren Wohnraum aus. Das betreffe nicht nur Obdachlose und unmittelbar von der Zwangsräumung bedrohte Menschen, sondern zunehmend die sozial schwachen Haushalte und Familien in der Stadt.

Eine ausgeweitete und gebührenfreie Schuldnerberatung könne ebenfalls den Sturz in die Obdachlosigkeit verhindern. In vielen Fällen gehe dem Wohnungsverlust eine längere Geschichte von Überschuldung voraus. „Durch die Möglichkeit der Privatinsolvenz und der damit verbundenen Entschuldung könnte dieser Problematik schon im Vorfeld begegnet werden. Auch sollte mehr über die Marketingmethoden vieler Kreditgeber aufgeklärt werden. Wir müssen verhindern, dass die Menschen in die Schuldenfalle tappen.“

Als „notwendig“ bezeichnete Grund eine Anpassung der von der ARGE gewährten Miethöchstsätze an die realen Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt. Es drohe eine Zunahme von Zwangsräumungen, wenn diese Obergrenzen nicht flexibler gehandhabt und an die lokalen Gegebenheiten der Metropole Hamburg angepasst würden.

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