„In­dus­trie 4.0 braucht Ar­beit 4.0“

Auf der Hannover Messe 2016 hat Hamburgs DGB-Chefin Katja Karger auf Einladung der Hans Böckler Stiftung zum Thema Industrie 4.0 gesprochen. Ein Auszug: „Viel zu selten werden die Auswirkungen von Industrie 4.0 auf Beschäftigte und soziales Umfeld beachtet. Beschäftigte, Kunden und Verbraucher sind Betroffene dieser Veränderung – selten die Gestalter. Dabei geschieht Wandel nicht allein durch Technik – sie liefert nur die Bausteine.“ Die ganze Rede hier:

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Besucher,

über die Messe geschlendert, vor vielen Ständen fasziniert Halt gemacht. Beeindruckende Vielfalt der menschlichen Ideen und die Fähigkeit, das umzusetzen.

Aber gleichzeitig auch gefragt: was heißt das denn für uns alle?

Sind wir hier im industriellen Spielzimmer – oder im Labor der Zukunft?

Wenn das Flugzeug aus 3-D-Druckern kommt, wie bei uns in Hamburg bei Airbus getestet, dann wird das voraussichtlich Folgen haben:

Folgen für die Beschäftigten, für die Zulieferer, für Fluggäste, für das Sicherheitspersonal am Flughafen bis hin zu Lehrenden an den Berufsschulen.

Niemand von uns glaubt doch ernsthaft, dass Rationalisierung, Flexibilisierung und intensivierte Wertschöpfung, die in der Industrie 4.0 als Potenzial stecken, innerhalb der Werkstore bleiben werden?

Automatisierung, Technisierung und Digitalisierung der Arbeit bringen vor allem, wachsende Arbeitsverdichtung, Verschmelzung von Privatleben und Arbeit, psychische wie körperlichen Belastungen sowie prekärer Beschäftigung.

Mein bisheriger Eindruck ist:

Viel zu selten werden die Auswirkungen von Industrie 4.0 auf Beschäftigte und soziales Umfeld beachtet. Beschäftigte, Kunden und Verbraucher sind Betroffene dieser Veränderung – selten die Gestalter.

Dabei geschieht Wandel nicht allein durch Technik – sie liefert nur die Bausteine.

Der Wandel geschieht vor allem durch unseren Umgang mit der Technik.

Es ist wichtig, zu verstehen: Technik kommt nicht über uns wie ein Donnerwetter, sondern sie folgt unseren Regeln über ihren Einsatz. Technik und Gesellschaft stehen in einem wichtigen Wechselverhältnis zueinander.

Das bedeutet: Den Anforderungen der neuen Zeit ist nur ein breiter gesellschaftlicher Ansatz gewachsen, der nicht partikulare Interessen bedient.

Der Begriff Industrie 4.0 greift viel zu kurz. Industrie 4.0 braucht Arbeit 4.0. Arbeit 4.0 bedeutet, die Veränderungen der Zukunft im Sinne der Menschen zu gestalten.

Was bedeutet das für uns Gewerkschaften?

Für uns hat Arbeit 4.0 vier bedeutende Dimensionen:

1. Mitbestimmung.

Nur die betriebliche Mitbestimmung durch Beschäftigte ermöglicht den pragmatischen Interessenausgleich und Kompromisse zwischen festen Regeln und individueller Freiheit. Studien zeigen, dass Unternehmen mit Betriebsrat innovativer sind, weil gemeinsam bessere Lösungen gefunden werden. Mitbestimmung ist Motor des wirtschaftlichen Erfolgs und maßgebliches Element der sozialen Marktwirtschaft

Deswegen brauchen wir die Stärkung der betrieblichen Mitbestimmung.

2. Weiterbildung.

Aus- und Weiterbildung ist der entscheidende Schlüssel. Weil die technische Entwicklung sich beschleunigt, werden Qualifikationen schneller alt. Kontinuierliche Weiterbildung muss daher unverzichtbarer Bestandteil nachhaltiger Personalpolitik sein, damit Fachkräfte auch Fachkräfte bleiben. Unsere Fachleute und ihre Qualifikationen sind gesamtgesellschaftlich und volkswirtschaftlich enorm wichtig, sie halten das Land am Laufen.

Deshalb müssen ArbeitnehmerInnen ein Recht auf Weiterbildung haben und Arbeitgeber eine Pflicht zur Weiterbildung.

3. Gute Arbeitsbedingungen

Automatisierung und Digitalisierung verändern Arbeitszeiten, Arbeitsabläufe, Arbeitsorte und Verantwortlichkeiten. Wir müssen die technischen Innovationen nutzen, um die Arbeitsbedingungen insgesamt zu verbessern. Die Veränderungen müssen die Bedürfnisse der Arbeitenden berücksichtigen.

Deshalb brauchen wir eine individuelle Anpassung der Arbeit an individuelle Lebensphasen.

4. Soziale Sicherung

Die großen Freiheiten der modernen Arbeitswelt bedeuten für Viele auch arbeiten ohne Netz und Absicherung. Solo-Selbständige, Cloudworker, Minijobberinnen, Teilzeiter, Leiharbeiter bekommen Schwierigkeiten bei Krankenversicherungen, Renten, Zeiten der Erwerbslosigkeit oder Sorge für die Familie. Diese Beschäftigten haben in der Regel weder Geld noch Möglichkeiten, sich dem Wandel anzupassen und ihre Existenz abzusichern. Unternehmerrisiken und Kosten der sozialen Sicherung dürfen nicht weiter auf die Gesellschaft abgewälzt werden.

Deswegen brauchen wir die Erwerbstätigenversicherung. Von Allen für Alle.

Für uns Gewerkschaften steht fest:

Dass Arbeit 4.0 Gute Arbeit sein muss. Der Wandel der Arbeitswelt kann nur funktionieren, wenn wir

a) neben der Industrie 4.0 alle anderen Bereiche der Gesellschaft mitdenken (an jedem Industriearbeiter hängt eine Frau und ein Kind)

b) genau deswegen durch Mitbestimmung, Weiterbildung, gute Arbeitsbedingungen und soziale Sicherung eine Gute Arbeit 4.0 für alle entwickeln.

Ohne den gesamtgesellschaftlichen Blick auf die Arbeit 4.0 wird der technologische Wandel der Industrie 4.0 kein ein Erfolg werden. Weil er die Menschen nicht mitnimmt, die davon betroffen sind.

Mitbestimmung, Bildung, Arbeitsbedingungen, soziale Sicherung.

Das ist der Stoff, aus dem die Arbeit der Zukunft entsteht. Die technologischen Gimmicks bilden das Material – nicht die Form.

Ja, wir befinden uns im industriellen Spielzimmer. Das ist gut so und macht Spaß.

Aber wir sind gleichzeitig auch im Labor der Zukunft. Und die Laborergebnisse haben das Potenzial, unsere bestehende Welt zu verändern –

Über die Folgen sollten wir uns Gedanken machen.

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