Hamburger Verfassungsschutz wird personell deutlich aufgestockt

Verfassungsschutzbericht vorgestellt / Grote: „Islamismus bleibt die große Herausforderung“ – Hamburgs Innensenator Andy Grote und der Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV), Torsten Voß, haben am heutigen Donnerstag (19. Juli 2018) den neuen Verfassungsschutzbericht vorgestellt. Die Aufklärung und Beobachtung extremistischer Aktivitäten, insbesondere der islamistischen Szene, bildeten im Jahr 2017 erneut einen Schwerpunkt der Arbeit des Hamburger Nachrichtendienstes.

Angesichts dieser Herausforderungen verstärken Senat und Bürgerschaft den Verfassungsschutz auf künftig mehr als 200 Stellen. Innensenator Andy Grote: „Diese kräftige Personalaufstockung bedeutet einen absoluten Sicherheitsgewinn für die Menschen in Hamburg.“

Islamismus/Salafismus

Auch im Jahr 2017 war die Beobachtung des Islamismus – insbesondere des Salafismus – ein Schwerpunkt der Arbeit des Verfassungsschutzes. Die steigende Anzahl der Salafisten ist durch den andauernden Zulauf sowie die kontinuierliche Aufhellung des Dunkelfeldes der Szene zu erklären.

Im Jahr 2017 ist die Zahl der erfassten Islamisten in Hamburg insgesamt auf 1.565 Personen (2016: 1.355) gestiegen. Die Zahl der Islamisten, die in Hamburg dem salafistischen Spektrum zugerechnet werden, stieg von 670 (2016) auf 780 (2017). Unter diesen 780 Salafisten waren Ende 2017 420 Jihadisten (die den militanten Jihad unterstützen). Der Stand im Juni 2018 ist nahezu unverändert: 785 Salafisten, davon 420 Jihadisten.
Am 28. Juli 2017 ermordete der palästinensische Volkszugehörige Ahmad A. einen Menschen mit einem Messer in einem Supermarkt in Hamburg-Barmbek und verletzte sechs weitere Personen zum Teil lebensgefährlich. Der Täter entwendete das Messer unmittelbar zuvor aus einer Auslage. Am 1. März 2018 wurde A. vom Hanseatischen Oberlandesgericht wegen Mordes und sechsfachen versuchten Mordes zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Zwar gibt es bis heute keine Bekennung des IS zu dieser Tat, der Täter ist jedoch dem islamistischen Spektrum zuzuordnen und hat sich selbst bei der Vernehmung als „Terrorist“ bezeichnet.

Von den insgesamt gut 80 aus dem Großraum Hamburg Ausgereisten ist nach derzeitiger Erkenntnislage (Stand: Juni 2018) etwa ein Drittel zurückgekehrt, darunter auch drei Frauen. Derzeit liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass die nach Hamburg zurückgekehrten Personen an Waffen oder Sprengstoff ausgebildet wurden und an Kampfhandlungen teilgenommen haben.

Hamburgs Innensenator Andy Grote: „Die Beobachtung des islamistisch-salafistischen Extremismus bleibt ein Schwerpunkt der Arbeit unseres Verfassungsschutzes. Dabei werden die Herausforderungen für alle Sicherheitsbehörden komplexer. Wir haben es mit neuen Tätertypen zu tun, wie der Mord in Barmbek zeigt. Um diesen und anderen wachsenden Herausforderungen wirksam zu begegnen, haben Senat und Bürgerschaft unser Landesamt für Verfassungsschutz personell deutlich auf jetzt mehr als 200 Stellen gestärkt. Denn ein leistungsfähiger Verfassungsschutz ist auch ein Stück Lebensversicherung für unsere freiheitliche Demokratie.“

Linksextremismus

Die Zahl der Linksextremisten in Hamburg ist gestiegen: Im Jahr 2017 wurden rund 1.220 Personen dem linksextremistischen Spektrum zugerechnet (2016: 1.100). Davon sind 770 Personen als gewaltorientiert einzustufen (2016: 650): Der autonomen Szene gehören 620 Personen an (2016: 500), darunter 540 aus der Roten Flora und ihrem Umfeld sowie 80 Postautonome (mit 60 Personen aus der „Interventionistischen Linken“). Dem antiimperialistischen Spektrum werden 120 Personen (2016: 110) zugeordnet (darunter der „Rote Aufbau Hamburg“ mit 60 Personen), und der anarchistischen Szene 30 Personen (2016: 40). Die politisch motivierte Kriminalität links stieg insgesamt auf 2.157 Taten (2016: 705). Davon sind 1.625 linksextremistische Straftaten (2016: 165). Die Zahl der linksextremistischen Gewaltdelikte stieg auf 1.038 Taten (2016: 185).
Ursachen für den Anstieg der Personen- und Straftatenzahlen sind die Delikte und gewalttätigen Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel in Hamburg. Bereits unmittelbar nach Bekanntgabe des Treffens begannen zahlreiche linksextremistische Organisationen in Hamburg, bundes- und europaweit die Mobilisierung. In Hamburg spielten in diesem Kontext drei Organisationen und ihre Protagonisten eine wichtige Rolle: die Autonomen aus dem Bereich der Flora, der Rote Aufbau sowie die Interventionistische Linke.
http://www.hamburg.de/innenbehoerde/linksextremismus/9069046/g20-linksextremistische-versammlungen-gruppierungen-akteure/

Gewaltorientierte Linksextremisten: Autonome, Antiimperialisten, Anarchisten
Wichtige Aktionsfelder sind Antifaschismus, Antirepression, Antimilitarismus, Antirassismus, Antiglobalisierung und Antiimperialismus. Die „Welcome to Hell“-Demonstration am 6. Juli 2017 war eines der zentralen Vorhaben des gewaltorientierten, insbesondere des autonomen Spektrums, und wurde schon im Vorfeld flächendeckend innerhalb der Szene sowohl im In- als auch Ausland beworben.
Auch die antiimperialistische Szene Hamburgs verzeichnete 2017 einen Zulauf ihrer Anhängerschaft. Ein Haupttreffpunkt ist nach wie vor das „Internationale Zentrum“ an der Brigittenstraße 5 (B5). Antiimperialistische Gruppen wie der gewaltorientierte „Rote Aufbau Hamburg“ haben bereits vor dem G20-Gipfel zu Gewaltaktionen aufgerufen. Nachdem Mitglieder der Gruppierung in einem Interview Brandstiftungen an den Messehallen als notwendig und moralisch gerechtfertigt darstellten und hierdurch einen Anreiz zu ähnlich gelagerten Taten setzten, vollstreckte das Landeskriminalamt Hamburg am 29. Juni 2017 drei Durchsuchungsbeschlüsse.
http://www.hamburg.de/innenbehoerde/linksextremismus/9075544/roter-aufbau-durchsuchungen/

„Interventionistische Linke“
Zu den bedeutendsten gewaltorientierten Gruppierungen zählt auch die „Interventionistische Linke“ (IL). Die IL ist ein bundesweit agierendes Netzwerk linksextremistischer Gruppierungen und Einzelaktivisten weitgehend postautonomer Ausrichtung, dem aber auch nichtextremistische Personen angehören.
http://www.hamburg.de/innenbehoerde/linksextremismus/9058816/postautonome/
2017 war die IL besonders in Bezug auf die Organisation von Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg aktiv.

Hamburgs Innensenator Andy Grote: „Die von militanten linksextremistischen Straftätern verübten und von einem Umfeld zumindest geduldeten Ausschreitungen während des G-20-Gipfels haben einmal mehr gezeigt: Der Linksextremismus ist nach wie vor eine große Gefahr. Die Sicherheitsbehörden werden daher weiterhin entschlossen gegen linksextremistische Aktivitäten vorgehen; die deutschland- und europaweite Verfolgung der G20-Straftäter, mit der Hamburg neue Maßstäbe gesetzt hat, wird konsequent fortgeführt. Extremisten benutzen aus taktischen und strategischen Gründen gesellschaftsfähige Themen, um Kontakt zu engagierten Demokraten zu bekommen und ihre antidemokratischen Ziele und Methoden zu verankern. Eine gefährliche Scharnierfunktion zwischen militantem Linksextremismus und demokratischem Spektrum nimmt hier unter anderem die gewaltorientierte Interventionistische Linke‘ ein.“

Rechtsextremismus

Das Personenpotenzial im Rechtsextremismus bewegt sich in Hamburg seit Jahren auf einem etwa konstanten Niveau. 2017 wurden wie im Vorjahr rund 320 Personen diesem Spektrum zugerechnet. Davon gehören rund 100 Mitglieder der NPD (2016: 100) und ungefähr 110 Personen parteiunabhängigen beziehungsweise parteiungebundenen Strukturen an, beispielsweise der „Identitären Bewegung“ oder der „Hamburger Burschenschaft Germania“. Rund 110 weitere Personen zählen zum weitgehend unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzial. Insgesamt 140 Personen des Gesamtpotenzials werden dem gewaltorientierten Spektrum zugerechnet.

Bei 188 der auf insgesamt 286 (2016: 342) gesunkenen rechtsextremistischen Straftaten handelte es sich um Propagandadelikte. Deren Anzahl entspricht somit fast dem Vorjahreswert. Den größten Anteil an den Propagandadelikten hatten wie im Vorjahr Fälle der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Allerdings stieg der Anteil der Volkverhetzungsdelikte an den Propagandadelikten deutlich an. Diese wurden weit überwiegend durch Äußerungen in sozialen Netzwerken begangen. Die Anzahl der rechtsextremistischen Gewalttaten sank 2017 auf 15 (2016: 28). Es handelte sich um neun Körperverletzungen, einzelne gefährliche Körperverletzungen, eine Widerstandshandlung sowie eine schwere Brandstiftung.

Agitationsschwerpunkt der gesamten rechtsextremistischen Szene war 2017 ebenso wie in den Jahren zuvor die Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik.

Seit Anfang 2018 beteiligen sich Angehörige der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene maßgeblich an der Organisation der sogenannten „Merkel muss weg“-Demonstration. Das Spektrum der Teilnehmer dieser Versammlungen reichte von mutmaßlich unzufriedenen Demonstranten aus der bürgerlichen Klientel bis zu Personen aus der rechtsextremistischen Szene. Als Anmelderinnen und Anmelder fungierten anfangs Personen, die bisher nicht als Rechtsextremisten in Erscheinung getreten sind und daher als unverfängliche Gesichter der Kampagne genutzt wurden. Unter den Initiatoren der Kampagne befanden sich indes auch mehrere Rechtsextremisten. Berührungsängste mit Rechtsextremisten gab es bei den Versammlungsteilnehmern offenbar nicht. In ihrem Auftreten achten die Protagonisten auf Mäßigung und streben damit die Anschlussfähigkeit an das bürgerliche Lager an, um ihre Themen möglichst breit gesellschaftlich zu verankern. Ziel ist, mehr politisch enttäuschte Bürgerinnen und Bürger zu erreichen. Es ist wahrscheinlich, dass die Organisatoren versuchen werden, die Kampagne nach der Sommerpause ab Anfang September 2018 neu zu starten.

Hamburgs Innensenator Andy Grote: „Die breite öffentliche Unterrichtung der Bürgerinnen und Bürger durch verschiedene Medien, Interviews, Pressemitteilungen oder Vorträge bleibt eine wichtige Aufgabe unseres Verfassungsschutzes im Kampf gegen Extremisten. Gut informierte Bürger sind meiner Ansicht nach mit der beste Schutz für unsere Demokratie. So berichtete unser Landesamt Anfang 2018 frühzeitig und mehrfach über die rechtsextremistischen Bezüge regierungskritischer Montags-Versammlungen. So wusste jeder Hamburger: Jeder, der dort mitmarschiert, macht mit rechtsextremistischen Organisatoren gemeinsame Sache. Auch die geplante Neuauflage dieser Versammlungen nach der Sommerpause werden wir mit äußerster Wachsamkeit verfolgen.“

„Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“

„Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ sind Einzelpersonen und Gruppierungen, die aus diversen Beweggründen und mit den verschiedensten Begründungen die Existenz der Bundesrepublik inklusive ihres Rechtssystems ablehnen und den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation absprechen. Daher sind sie häufig bereit, Straftaten zu begehen. „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ berufen sich vielfach auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht. Da sie den Bestand der Bundesrepublik Deutschland ablehnen, werden ihre gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen vom Verfassungsschutz beobachtet. In Hamburg wurden der Reichsbürgerszene Ende 2017 130 Personen zugerechnet. Hiervon wiesen rund 10 Prozent Bezüge zur rechtsextremistischen Szene auf.

„Scientology-Organisation (SO)“

Die seit 1997 von den Verfassungsschutzbehörden beobachtete Scientology-Organisation (SO) postuliert die universelle Befreiung des menschlichen Geistes mit ihrer von Gründer L. Ron Hubbard entwickelten „Technologie“. In einer scientologischen Gesellschaft sollen danach nur sogenannte „Clears“, von allen geistigen Störungen befreite Menschen, Rechte genießen. Mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit versucht die totalitäre Organisation, ihrem Negativ-Image entgegenzuwirken. Hierbei setzt sie insbesondere sogenannte 4-D-Kampagnen ein, mit denen die SO positiv besetzte Themen wie zum Beispiel „Drogenhilfe“ vereinnahmt, um ihre tatsächlichen Praktiken und Ziele zu verschleiern und gesellschaftliche Akzeptanz zu schaffen.
Im Jahr 2017 wurden bundesweit mehrere Fälle junger Sportler bekannt, darunter auch ein Hamburger, die von einem US-amerikanischen Scientologen mit Stipendien für ein Studium an der Clearwater-University in Florida geködert werden sollten. Der Scientology-Hintergrund wurde dabei nicht thematisiert, sondern erst bekannt, als sich Betroffene an die Scientology-Beratung des Hamburger Verfassungsschutzes gewandt hatten. Die „Clearwater-University“ bekennt sich öffentlich zu den Methoden L. Ron Hubbards.
http://www.hamburg.de/innenbehoerde/scientology-organisation/9484162/scientology-sportler-stipendium-football/
Im Zusammenhang mit der Beobachtung der „Reichsbürger und Selbstverwalter“ wurde festgestellt, dass in Einzelfällen auch Scientologen dieser Szene angehören. Wie im Vorjahr rechnete das LfV Hamburg der SO im Jahr 2017 knapp 350 Anhänger zu, von denen rund 150 bis 200 Personen zum harten und aktiven Kern der Hamburger Scientologen zählen.

Wirtschaftsschutz und Spionageabwehr

Das Landesamt für Verfassungsschutz sensibilisierte im Jahr 2017 verschiedene Unternehmen für die Gefahren durch Wirtschaftsspionage, speziell durch Cyberattacken fremder Nachrichtendienste. Aufgrund der intensiven und guten Zusammenarbeit mit der Hamburger Wirtschaft sowie ihren Vereinigungen und des dadurch gewachsenen Vertrauensverhältnisses gaben die Unternehmen zudem Hinweise zu sicherheitsrelevanten Vorkommnissen, zum Beispiel zu Auffälligkeiten auf Geschäftsreisen bei der Ein- und Ausreisekontrolle, im Hotel oder bei Geschäftsverhandlungen. Da der Versuch einer fremden Beeinflussung der Bundestagswahl 2017 – zum Beispiel durch Veröffentlichung interner Dokumente, wie bereits im Vorwege der Wahlen in den USA und Frankreich geschehen – nicht ausgeschlossen werden konnte, sensibilisierte der Wirtschaftsschutz Vertreter und Mitarbeiter der politischen Parteien in Hamburg zur Cybersicherheit. Elektronische Angriffe durch ausländische Nachrichtendienste auf die Netze von Behörden und Wirtschaftsunternehmen sind eine Gefahr für die Sicherheit in Deutschland und stellen eine große Herausforderung für die Spionageabwehr dar.

Nachrichtendienste aus dem Mittleren und Nahen Osten sind vorwiegend an Gütern interessiert, die sowohl zivil als auch militärisch verwendet werden können (sogenannte „Dual-Use-Güter“). Im Zentrum der Tätigkeit zahlreicher fremder Nachrichtendienste steht auch die Ausforschung von Oppositionellen, die in Deutschland im Exil leben.

Den aktuellen Verfassungsschutzbericht finden Sie unter www.hamburg.de/innenbehoerde sowie www.hamburg.de/verfassungsschutz im Internet.

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