Gabriel: Flüchtlinge sind Gewinn

Der Umgang mit Flüchtlingen ist das zentrale Thema der vergangenen Wochen. Die Hilfsbereitschaft der Deutschen ist riesig. Gleichzeitig kommt es fast täglich zu Anschlägen auf geplante Unterkünfte. In einem Brief an SPD-Amts- und -Mandatsträger ruft Sigmar Gabriel dazu auf, den Flüchtlingen zur Seite zu stehen.

Kaum ein anderes Thema beschäftigt die Menschen in Deutschland – und vor allem uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten – gegenwärtig so sehr, wie das Schicksal der Menschen, die bei uns Schutz vor Terror, Bürgerkrieg und politischer Verfolgung suchen. Die Bilder von übervollen Flüchtlingsbooten bewegen uns genauso wie die Berichte über die furchtbaren Zustände in Syrien oder Somalia.

Wir alle wissen: Die Welt ist unsicherer geworden. Auch wenn unser Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit großem Einsatz alles dafür tut, die globalen Krisen diplomatisch zu lösen, wird die Zahl der Flüchtlinge weiter steigen. Dieser Herausforderung müssen wir uns stellen – mit klarem Kopf und warmen Herzen. Der Umgang mit Asylsuchenden und Flüchtlingen ist zu ernst, als dass man das Thema zur parteipolitischen Profilierung missbrauchen darf. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sollten uns jedenfalls all denen entgegenstellen, die nur Probleme sehen, wo es doch um Menschen geht.
Anschläge auf Flüchtlinge dürfen wir nicht dulden

Dass sich viele Flüchtlinge bei uns nicht sicher fühlen, dass Flüchtlingsunterkünfte angegriffen oder Unterstützer attackiert werden, ist beschämend. Hier sind zuallererst Polizei und Justiz gefordert. Aber auch die Parteien sind gefragt: Statt mit Ressentiments zu spielen, sollten wir alle deutlich machen, dass solche Anschläge auf die, die bei uns Schutz suchen, nicht zu dulden sind. Weil es sich um kriminelle und menschenverachtende Straftaten handelt, müssen sie mit aller Härte des Rechtsstaates verfolgt werden.

Die menschenwürdige Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge und Asylsuchenden steht für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten an erster Stelle. Ebenso wichtig sind jedoch Bildung, Qualifizierung und die Vermittlung in den Arbeitsmarkt derjenigen Menschen, die eine Bleibeperspektive bei uns haben. Das wird alle unsere Kräfte erfordern und eine zentrale Aufgabe der deutschen Innenpolitik in den kommenden Jahren sein.

Die Unterbringung von Flüchtlingen ist keine reine Kostenfrage

Bund, Länder, Städte und Gemeinden tragen dafür gemeinsam Verantwortung: Der Bund wird sich stärker an den Kosten der Unterbringung, Versorgung und Integration von Flüchtlingen beteiligen müssen als bisher. Denn die Länder und Kommunen werden diese große Herausforderung allein nicht meistern können. Im Herbst wird es dazu entsprechende Vereinbarungen geben.

Die Unterbringung der Flüchtlinge ist allerdings längst nicht mehr nur eine Kostenfrage. Inzwischen stoßen die Kapazitäten an vielen Orten an ihre Grenzen. Zeltdörfer und Notunterkünfte sind ein Signal, dass es inzwischen immer schwieriger wird, die Menschen anständig und würdig zu versorgen, zumal wenn Wohnraum vor allem in großen Städten fehlt und Notunterkünfte in Containerbauweise inzwischen wochenlange Lieferzeiten haben. Wenn es uns nicht gelingt, die damit verbundenen Herausforderungen mit vereinten Kräften anzugehen, dann kann die Stimmung vor Ort kippen. Das zu verhindern, muss oberstes Ziel aller Demokratinnen und Demokraten sein.

Flüchtlinge mit Bleibeperspektive sind ein Gewinn für Deutschland

Für die SPD ist es wichtig, dass die Menschen, die verfolgt werden oder die wegen Kriegen oder Bürgerkriegen ihr Heimatland verlassen müssen, nicht nur ein neues Zuhause bei uns finden. Wir wollen ihnen helfen, schnell unsere Sprache zu erlernen und unsere Schulen und Hochschulen zu besuchen – denn nur dann können sie Arbeit finden. Diese Menschen mit einer dauerhaften Bleibeperspektive sind ein Gewinn für unser Land. Weil sie uns kulturell bereichern, den demographischen Wandel abmildern, den Fachkräftemangel lindern und unserem sozialen Sicherungssystem mehr Stabilität verleihen.

Gleichzeitig müssen wir aber unsere Anstrengungen für die bereits hier lebenden jungen Menschen ohne Schulabschluss, für Langzeitarbeitslose und Geringqualifizierte ohne Beschäftigung verstärken, damit es nicht zur Konkurrenz um Arbeit, Wohnraum sowie andere Unterstützungsleistungen kommt.

Bewährungsprobe für Europa

Es ist eine Schande für Europa, dass es immer noch nicht gelungen ist, gemeinsam eine humane, solidarische Flüchtlingspolitik zu entwickeln. Einzelne EU-Mitgliedsstaaten verweigern sich bis heute einer fairen Verteilung von Flüchtlingen und Asylsuchenden. Für die SPD steht fest: Europa darf nicht nur ein Binnenmarkt sein, sondern muss sich als Werte- und Verantwortungsgemeinschaft bewähren.

Wir wollen und müssen mehr Menschen aufnehmen, die vor Terror, Krieg und Bürgerkrieg fliehen oder politisch verfolgt werden. Deshalb müssen wir denjenigen, die keine politische Verfolgung erleiden oder von Krieg oder Bürgerkrieg bedroht sind, schon in ihren Herkunftsländern deutlich sagen, dass sie keine Aussicht haben, in Deutschland ein dauerhaftes Bleiberecht zu erhalten. Das sind derzeit vor allem Menschen aus den Staaten des Westbalkans, deren Anerkennungsquote für Asyl weit unter einem Prozent liegt.

Stephan Weil, unser Ministerpräsident Niedersachsens, hat in es einem Interview auf den Punkt gebracht: „Wir haben eine Gruppe, deren Asylantrag mit 99-prozentiger Sicherheit abgelehnt werden wird, und eine andere Gruppe, die zu 99 Prozent Asyl bekommt. Aber wenn beide Gruppen zwei Jahre auf ihren Bescheid warten müssen, läuft etwas grundsätzlich falsch im System.“ Wir müssen zu einer Beschleunigung in diesen Verfahren kommen. Das ist auch im Interesse der betroffenen Menschen. Auch unsere Staatsministerin für Integration Aydan Özoğuz hat zu Recht mehr Ehrlichkeit in der Debatte angemahnt.

Wir Sozialdemokraten müssen uns den Debatten vor Ort stellen

Die Bereitschaft von Flüchtlingsorganisationen, von Kirchen, Gewerkschaften und anderen Vereinen, aber auch vielen privaten Initiativen zur tätigen Hilfe müssen wir weiter unterstützen. Dieses Engagement ist beispielhaft und zeigt, dass wir Deutschen mitmenschliche und verantwortlich handelnde Europäer sind. Ich weiß, dass sich viele Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten für Flüchtlinge engagieren – in der Kommunalpolitik genauso wie in lokalen Bürgerinitiativen. Ihnen danke ich im Namen der ganzen Partei!

Mir ist klar, dass die Aufnahme von Flüchtlingen vor Ort immer wieder zu Diskussionen führt. Diesen Debatten müssen wir uns stellen. So groß die Herausforderungen auch sein mögen – die Wirtschaftslage in Deutschland ist so gut wie lange nicht mehr. Und viel besser als in anderen Ländern, die gemessen an der Bevölkerungszahl um ein Vielfaches mehr Flüchtlinge aufnehmen. Die Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung ist enorm groß. Und selbst den Parteien, die sich lange gegen diese Erkenntnis gesperrt haben, dämmert: Zuwanderung ist keine Bedrohung, sondern eine Chance. Wir sollten also keine Angst haben, sondern die Herausforderungen mit Zuversicht anpacken.

Meine Bitte: Steht den Flüchtlingen wie den Helfenden zur Seite, wo immer Ihr das könnt. Besucht Flüchtlingsheime, sprecht mit den ehrenamtlich Engagierten, spendet, was immer Ihr übrig habt, und helft, wo Ihr Euch zur Hilfe und Unterstützung in der Lage seht. Ich bin sicher: Wenn wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in Bund, Ländern und Kommunen weiter so zusammenstehen wie bisher, dann werden wir einen wichtigen Beitrag dafür leisten, dass unser Land auch diese Herausforderung gemeinsam und mit Gewinn für alle besteht.

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