Fall Chantal: Bezirkschef Schreiber geht

Bürgermeister Olaf Scholz hat der Bitte des Bezirksamtsleiters von Hamburg-Mitte, Markus Schreiber, entsprochen, ihn von seinem Amt abzuberufen. Schreiber stand nach Vorwürfen zum Methadon-Tod des elfjährigen Pflegekindes Chantal seit Tagen in der Kritik: Er übernimmt mit diesem Schritt die politische Verantwortung für Versäumnisse im Jugendamt Mitte.

Die Entscheidung Schreibers sei von Verantwortungsbewusstsein geprägt, sagte Bürgermeister Scholz in einer ersten Reaktion. Zur Tagesordnung werde nicht übergegangen: „Wir dürfen es nicht hinnehmen, dass Kinder in unserer Stadt zu Schaden kommen oder gar sterben – vor allem nicht, wenn sich schon staatliche Stellen um sie kümmern.“

Die SPD-Bürgerschaftsfraktion hat mit großem Respekt auf den Amtsverzicht des Mitte-Bezirksamtsleiters, Markus Schreiber, reagiert. „Mit seiner persönlichen Entscheidung übernimmt er die politische Verantwortung für Fehler in seinem Bezirksamtsbereich, die im Zusammenhang mit dem tragischen Tod von Chantal zu Tage getreten sind. Das ist ausdrücklich anzuerkennen. In den letzten drei Wochen ist darüber ein bisschen in Vergessenheit geraten, dass Markus Schreiber im vergangenen Jahrzehnt – teilweise in Bezirkskoalitionen mit CDU und GAL – auch viel Positives für den Bezirk Mitte, der zudem mehr als andere Bezirke mit großen sozialen Problemen konfrontiert ist, auf den Weg gebracht hat“, erklärte SPD-Fraktionschef Andreas Dressel am Freitag.

Die SPD-Bürgerschaftsfraktion werde nach dem heutigen Tag auch weiter mit aller Kraft an der Aufarbeitung des tragischen Todes von Chantal und an strukturellen Konsequenzen daraus arbeiten: „Der Senat hat hierzu schon erste substanzielle Vorschläge auf den Tisch gelegt. Die Opposition sollte jetzt auch ihrerseits ihrer Verantwortung gerecht werden. Es muss uns allen ums Kindeswohl gehen – und um nichts anderes“, so Dressel.

Zu dem Rücktritt erklärt die Linkspartei-Fraktionsvorsitzende Dora Heyenn: „Es war höchste Zeit, dass der lange zaudernde Bürger¬meister endlich personelle Konsequenzen gezogen und Bezirksamtsleiter Markus Schreiber dazu bewegt hat, die politische Verantwortung zu übernehmen. Allerdings musste die Opposition massiv Konsequenzen fordern, bevor sich der Erste Bürgermeister der Sache angenommen hat – Scholz reagiert nur auf Druck.

Damit ist die Aufarbeitung des tragischen Todes von Chantal aber nicht erschöpft. Solange Johannes Kahrs Vorsitzender des Jugendhilfeausschusses Hamburg-Mitte bleibt, wird sich an dem System Kahrs mit den in der Bürgerschaft scharf kritisierten Verflechtungen im Bezirk nichts ändern.

Selbstverständlich muss die Aufklärung über die Ursachen und Versäumnisse, die zum Tod von Chantal geführt haben, weitergehen. Dazu gehört die Überforderung der Mitarbeiter in den Behörden und die Privatisierungen der letzten zehn Jahre und ihre Auswirkungen auf den Jugendhilfe-Bereich. Die strukturellen Schwächen müssen offengelegt werden und es muss alles dafür getan werden, dass so etwas nicht wieder passieren kann.“

Christoph de Vries, familienpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion: „Das eigentliche Übel des Bezirks Mitte ist das ‚System Kahrs‘. Ein Rücktritt von Johannes Kahrs als Vorsitzender des Jugendhilfeausschusses ist deshalb unausweichlich. Nur so können die über viele Jahre verkrusteten Strukturen der SPD in Mitte aufgebrochen werden. Eine personelle Nachfolge von Herrn Schreiber aus dem engsten Dunstkreis von Herrn Kahrs ist nicht im Interesse des Kindeswohls und der Menschen im Bezirk Mitte. Es darf nicht ein weiterer Kahrs-Zögling in Mitte das Ruder in die Hand nehmen. Der Bezirk braucht einen echten personellen Neuanfang mit einem Bezirksamtsleiter, der überparteilich Akzeptanz findet und ohne Rücksicht auf die Befindlichkeiten der SPD strukturelle Defizite angeht. Wir werden Gespräche über eine solche überparteiliche Nachfolgelösung führen, sonst ist eine öffentliche Ausschreibung der richtige Weg.“

Der GAL-Kreisverband und die GAL-Fraktion Hamburg-Mitte begrüßten ausdrücklich den konsequenten Schritt von Markus Schreiber. „Den Rücktritt von Herrn Markus Schreiber respektieren wir. Er war eine überfällige persönliche Konsequenz. Dies muss der Anfang der weiteren Aufklärung und darf nicht der letzte Schritt sein“, so GAL-Fraktionsvorsitzender Michael Osterburg.

Es müssen nun vielmehr unter einem neuen Bezirksamtsleiter strukturelle Maßnahmen und Verbesserungen getroffen werden, die nicht nur das Jugendamt betreffen. Für den Kreisverband erklärt Claudius Lieven: „ Herr Schreiber hat die politische Verantwortung für die Missstände in seinem Bezirksamt übernommen. Dies war notwendig und richtig. Damit sind die strukturellen Probleme in der Jugendhilfe in Hamburg-Mitte allerdings nicht beseitigt. Hier ist ein völliger Neuanfang erforderlich.“

Die GAL Hamburg Mitte fordert: Der Fall Chantal muss durch eine unabhängige Untersuchungskommission aufgearbeitet und mögliche Lösungen aufgezeigt und Defizite beseitigt werden. Des Weiteren ist es ein Anliegen der GAL, die Kompetenz der Pflegestellenprüfung/-Beratung künftig wieder in die Hände des Jugendamtes zu legen, um eine bessere parlamentarische Kontrolle zu ermöglichen.

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