Ein Beitrag zur Debatte über „Sexismus“ zum Internationalen Frauentag

Die Social-Media-Expertin der SPD-Bundestagsfraktion Teresa Bücker kritisiert in einem Debattenbeitrag zum Thema „Sexismus“ auf spd.de in scharfer Form die Rolle bestimmter Medien.

Extrem schön, extrem misogyn

Ich schalte selten den Fernseher ein, denn das reguläre Programm langweilt mich, oft ist es einen Aufschrei wert. Sexismus, Frauenfeindlichkeit und Stereotype überwältigen mich. Ich möchte in diesem Backlash (engl. für gesellschaftlichen Rückschritt, d. Red.) nicht leben, er macht mich kaputt.


Zurichtung von Frauenkörpern als TV-Show
‚Germany’s Next Top Model‘ halte ich dabei noch für eine milde Form der Frauenfeindlichkeit, die insbesondere Formate der privaten Sender präsentieren. Gestern Abend stieß ich auf die „RTL II“-Sendung ‚Extrem schön‘ und blieb hängen, als der Sprecher die frisch operierten Brüste einer Frau kommentierte mit: „Endlich ist sie eine richtige Frau.“

Ich müsste fassungslos sein, aber in der überwiegenden Mediendarstellung gibt es sehr genaue Vorstellungen davon, wann ein Mensch eine ‚richtige‘ Frau ist. Die Grenzen sind klar und bekannt. Üppige, symmetrische, feste Brüste gehören dazu.

In der Sendung bekamen die beiden Frauen, die ihre Körper auf den OP-Tisch legten um einer starren Schönheitsnorm näher zu kommen, zudem noch zartere Nasen, die Bauchdecke gestrafft, Fett abgesaugt, das Doppelkinn operiert und Falten unterspritzt. Die ‚graue Maus‘ wurde geschminkt und frisiert. Der Satz, sie könnten sich nun endlich als ‚echte‘ Frauen fühlen, fiel mehrere Male.

Gewalt gegen Frauen – live im Fernsehen
Die Unzufriedenheit der Frauen wurde auf ihr Aussehen reduziert, aus anderen Lebensbereichen der beiden erfuhr man kaum etwas. Bis auf einen Aspekt, der für mich der Sendung das Genick noch ein drittes und viertes Mal brach: sie dokumentierte häusliche und psychische Gewalt.

Eine der Frauen befand sich offenkundig in einer Beziehung mit einem krankhaft eifersüchtigen Mann, der sie mit Anrufen terrorisierte und sie dazu zwang, ihm zu gehorchen und nach Hause zu kommen. Die Frau war eingeschüchtert und verstört, der Sprecher der Sendung kommentierte, sie gebe nun den Traum von einem neuen Aussehen auf, weil ihr Lebensgefährte wolle, dass sie nach Hause komme. Hinterfragt wurde das Verhalten nicht. Die Szenen waren bedrückend, für mich noch härter als die Operationsszenen und Narben.

Medien prägen ein menschenverachtendes Frauenbild
Das, was in diesen Fernsehsendungen und in anderen Medienformaten geschieht, ist frauenverachtend. Sie oktroyieren Normen gewaltvoll auf Körper. Sie dokumentieren Gewalt am eigenen Körper, an der Seele und verherrlichen sie.

Medien tragen massiv dazu bei, Schönheit und die Möglichkeiten, sich mit dem eigenen Körper wohlzufühlen, zu definieren und zu verengen. Die Vielfalt der Schönheit wird aus der Welt geschnitten. Sie wird nicht gesendet und nicht gedruckt.

Kniefall vor dem Schönheitsdiktat wird zum Muss
In der Welt dieser Bilder ist eine Gesellschaft, in der Menschen unabhängig von ihrem Aussehen akzeptiert, respektiert und geliebt werden, passé. Nicht der Mensch wird respektiert, die Norm muss befolgt werden. Als einzige Option ein normales und erfülltes Leben führen zu können, wird der Kniefall vor dem Schönheitsdiktat ins Feld geführt.

Doch Medien tragen in diesem Bereich eine hohe Verantwortung. Diese Verantwortung lässt sich nicht auf die Zuschauer_innen abwälzen. Nicht auf Menschen, die stark genug sind, selbstbestimmt zu leben und eigene Maßstäbe für sich selbst anzulegen.

Medien tragen Verantwortung
Sie tragen Verantwortung für andere und sind mit dieser Aufgabe offenbar überfordert. Sie haben den falschen Beruf. Sie nehmen bewusst in Kauf, dass die Würde von Menschen verletzt wird und dass frauenfeindliche Standards es für viele unmöglich machen, Selbstbewusstsein zu entwickeln und sich selbst zu mögen.

Eine Gesellschaft, die solchen Medien und Menschen ausgesetzt ist, wird über die kommenden Jahrzehnte nicht gesünder werden. Depressionen, Essstörungen, Selbstverletzungen, Angstzustände, Mobbing, Ausgrenzung – all diese Dinge nehmen stetig zu.

Auch, weil Medien an einem Punkt angelangt sind, an dem sie Unterhaltungsformate weit überschritten haben, und bewusst Verletzungen anderer in Kauf nehmen. Hochbezahlte, gebildete Angestellte – mit Frauen, Freundinnen, Schwestern, Töchtern, Söhnen. Es gibt derzeit keinen medienöffentlichen Diskurs, diese fatalen Entwicklungen abzumildern und ihnen entschieden entgegen zu treten. Denn Selbsthass und die Herabwürdigung anderer sind normal geworden.

Wir müssen über Sexismus in den Medien reden
Eine Frau braucht keine Brüste, um eine echte Frau zu sein. Kein Schönheitskriterium entscheidet über den Wert eines Menschen. Neue Nasen und straffe Bäuche sind keine Lösung für eine Gesellschaft, in der Menschenverachtung und Frauenfeindlichkeit an Salonfähigkeit gewinnen. Der groteske Lookism (engl. für die Diskriminierung Aufgrund von Aussehen, d. Red.) ist dabei nur eine Form der Diskriminierung, die täglich einem Millionenpublikum serviert werden.

Medienkritik, Gegenwehr und Empowerment können den Schaden, den insbesondere jüngere Frauen und immer mehr Männer aktuell erleiden, kaum abfedern. Die Menschenverachtung, die Medien propagieren, hat eine politische Dimension. Wir müssen reden über körperliche und seelische Gewalt, die uns als Teil des alltäglichen Lebens kaum noch auffällt. Die wir senden, konsumieren, weitergeben.

In der Weiterführung gesellschaftspolitischer Debatten nach #aufschrei sehe ich in der Ethik und Gewaltfreiheit als Themen von Medien- und Geschlechterpolitik die wichtigsten Ansätze für den Aufbruch in eine Welt, in der ich leben will. Das was ich jeden Tag sehe, macht mich wütend, krank und ratlos.

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