Die Forderungen der Gewerkschaften für 2020

„Investitionen und Arbeitsplatzsicherung sind die Gebote der Stunde“, sagt Uwe Polkaehn, Vorsitzender des DGB Nord, mit Blick auf das Jahr 2020: „Wir brauchen ein ambitioniertes, öffentliches Investitionsprogramm, auch im Norden. Und wer Fachkräfte gewinnen und halten will, muss einen guten Tarifvertrag und unbefristete Anstellungen bieten. 2020 muss das Jahr werden, in dem sich die Arbeitgeber endlich bewegen.“

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hat zum Jahresende gemeinsam mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ein auf 10 Jahre angelegtes Programm für öffentliche und private Investitionen in Höhe von 450 Milliarden Euro gefordert. Polkaehn: „Stoppt das Krisengerede! Ein umfangreiches, langfristiges, öffentliches Investitionsprogramm sichert die Zukunftsfähigkeit der Wirtschaft – und damit die guten Arbeitsplätze von morgen. Der strukturelle Wandel kann im Sinne des Gemeinwohls gesteuert werden. Digitalisierung, Klimaschutz und faire Globalisierung benötigen einen aktiven Staat. Öffentliche Investitionen stärken den sozialen Zusammenhalt und fördern gleichwertige Lebensverhältnisse.“

Viele Unternehmen seien auf die Digitalisierung nicht vorbereitet: „Sie sollten lieber mit den Gewerkschaften an zukunftsweisenden Konzepten arbeiten. Denn wenn die Transformation die Menschen weiter verunsichert, gewinnen die Rechten mehr Zulauf. Industrie 4.0 braucht die Gestaltung von Arbeit 4.0 – gemeinsam mit den Beschäftigten, denn sie sind die Fachleute für ihren Arbeitsplatz.“ Sozialpartnerschaft verstehe mancher Unternehmer leider als eine Schönwetterveranstaltung, die er bei rauerem Wetter schnell mal aufkündigen könne. Nur starke Gewerkschaften und Betriebsräte garantieren einen sozialverträglichen Strukturwandel.

Ein großes Thema für 2020 sei der Tarifschutz: „Leider stehlen sich immer mehr Arbeitgeber aus ihrer sozialen Verantwortung. In Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern sind weniger als 50 Prozent der Beschäftigten von Tarifverträgen geschützt. Ein Unding! Es geht um soziale Gerechtigkeit und Wettbewerbsfähigkeit im Norden. Mit Tarifvertrag verdienen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durchschnittlich bis zu 800 Brutto monatlich mehr. Hier ist auch die Politik gefragt. Es brauche den klaren politischen Willen, Tarifverträge und Gewerkschaften zu stärken. Stärkung der Tarifbindung heißt nämlich auch, Tarifverträge deutlich leichter allgemeinverbindlich erklären zu können, damit sie ausnahmslos in der gesamten Branche gelten und der Konkurrenzkampf über Lohndumping ein Ende hat. Mit flächendeckenden Tariflöhnen stärken wir den Zusammenhalt der Gesellschaft. Hier kann vor allem in Schleswig-Holstein die Landesregierung noch deutlich mehr tun.“

Besonders in Schleswig-Holstein gibt es zu wenige freie Stellen je Azubi, so DGB-Berechnungen: Es klafft eine Lücke von 2000 bis 8000 Ausbildungsplätzen. Nirgendwo im Westen der Republik suchten Ende September noch so viele Jugendliche einen Ausbildungsplatz wie in Schleswig-Holstein (16 % der Jugendlichen suchten noch am 30.09.). „Die Unternehmen im Norden tun offensichtlich deutlich zu wenig, um den Fachkräftebedarf zu sichern. Viel zu viele Jugendliche erhalten keine Chance auf einen beruflichen Einstieg. Die schlechten Ausbildungsbedingungen in vielen Branchen, vor allem im Gastgewerbe, schrecken junge Menschen zusätzlich ab. Ständige Überstunden, niedrige Vergütungen und sonstige Qualitätsmängel steigern nun mal nicht die Anziehungskraft eines Berufes. Daran ändern auch Hochglanzbroschüren und Imagekampagnen nichts. Das Land braucht eine Qualitätsoffensive der Arbeitgeber“, so Polkaehn.

Zu den Erfolgen der Gewerkschaften zählt der DGB-Vorsitzende die von der Großen Koalition vereinbarte Grundrente: „Vielen Rentnerinnen und Rentnern, die ihr Leben lang gearbeitet haben und trotzdem nur über eine geringe Rente verfügen, wird die Grundrente helfen. Schlechte Löhne bedeuten eine schlechte Rente. Auch deshalb fordern wir die Arbeitgeber auf, wieder flächendeckend zur Tarifbindung zurückzukehren“, so Polkaehn.

Die Klimadebatte und die „Fridays for Future“-Bewegung werde auch die Gewerkschaften 2020 beschäftigen: „Für die Gewerkschaften ist klar, dass es beim Kampf gegen den Klimawandel auch um einen sozialen Strukturwandel geht, bei dem die Menschen mitgenommen werden müssen. Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer muss es neue Perspektiven geben. Sie müssen das Vertrauen haben, dass es neue Jobs geben wird. Das geht nur mit einem großen Wurf für eine klimaneutrale Wende, die auch Beschäftigung bringt.“

Ab dem 1. Januar 2020 steigt der Mindestlohn auf 9,35 Euro. Polkaehn: „Durch seine Einführung haben seit 2015 viele Menschen im Norden mehr Geld in der Tasche. Der gesetzliche Mindestlohn ist aber nur die unterste Haltelinie für viele Beschäftigte und nicht existenzsichernd. Er muss deutlich steigen und armutsfest sein.“ Die Hamburger Bürgerschaft habe mit sozialen Kriterien für die öffentliche Auftragsvergabe der Stadt, Tarifbindung und einem Mindestlohn von 12 Euro neue Standards gesetzt.

Etwa 20 Millionen Beschäftigte in Deutschland hatten 2019 eine tarifliche Lohnerhöhung. Davon profitieren 12 Millionen von mehrjährigen Abschlüssen aus den Vorjahren, 8 Millionen Beschäftige kamen in den Genuss eines neu abgeschlossenen Tarifvertrages. Polkaehn: „Immer wichtiger werden neben Lohnsteigerungen Regelungen zur tarifvertraglichen Arbeitszeitgestaltung. Dazu gehören neue Möglichkeiten zur individuellen Arbeitszeitverkürzung und Wahloptionen zwischen mehr Geld oder zusätzlichen freien Tagen.“

In der Tarifrunde für 2020 stehen wieder wichtige Verhandlungen bevor, etwa in der Metall- und Elektroindustrie und im öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen. Polkaehn: „Bei den Löhnen besteht weiter großer Nachholbedarf. Wir erwarten von kräftigen Zuwächsen eine Stabilisierung des privaten Konsums. Dies könnte einer konjunkturellen Eintrübung entgegenwirken und ist daher auch volkswirtschaftlich sehr sinnvoll.“

Tarifrunden 2020:

Insgesamt verhandeln die DGB-Gewerkschaften im Jahr 2020 für mehr als zehn Millionen Beschäftigte neue Vergütungstarifverträge. Einige ausgewählte Beispiele (in Klammern: Beschäftigtenzahlen, gerundet auf volle Tausender):

März:
Metall- und Elektroindustrie (3.780.000)

April:
Bauhauptgewerbe (633.000)
Mai:
Deutsche Post AG (140.000)

Juni:
Wohnungs- und Immobilienwirtschaft (64.000)

August:
öffentlicher Dienst Bund und Gemeinden (2.712.000)

September:
Dachdeckerhandwerk (88.000)

Oktober:
Maler- und Lackiererhandwerk (123.000)

Dezember:
Gebäudereinigerhandwerk (460.000)
Bewachungsgewerbe verschiedene Regionen (153.000)

In einigen Branchen wird im kommenden Jahr nicht verhandelt, weil die Verträge bis ins Jahr 2021 gelten. Dies gilt z. B. für den Groß- und Außen- und den Einzelhandel sowie den öffentlichen Dienst der Länder.

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