Bessere Bezahlung in der Pflege: Die Politik muss sich ehrlich machen

So einfach geht das nicht: Zu viele Politiker erklären mal kurz in Talkshows, Pflegekräfte in Krankenhäusern und Altenpflegeheimen seien systemrelevant und es sei dringend an der Zeit, sie besser zu bezahlen, ohne dass sie dabei konkret werden. 1.500 Euro steuerfrei sind eine Einmalzahlung für die aktuelle Sondersituation. Das ist gut und in der aktuellen Situation richtig, aber es muss ergänzt werden durch eine dauerhafte strukturelle Aufstockung der Vergütung in den Tarifverträgen und deren Allgemeinverbindlichkeit.

Tarife fallen nicht vom Himmel – und von lockeren Politikersprüchen können sich die Pflegekräfte nichts kaufen. Gewerkschaftlich organisierte Kolleginnen und Kollegen in der stationären Kranken- und Altenpflege waren in Hamburg schon vor 30 Jahren mit dem ersten großen Pflegestreik auf der Straße und haben eine außerordentliche Tarifaufstockung durchgesetzt – damals ein Riesenerfolg. Auch nach der Privatisierung der Krankenhäuser und Pflegeheime durch die Beust-Senate haben sie mit etlichen Streiks die Lohndumpingpläne bei Asklepios und Pflegen & Wohnen wieder zurückgekämpft. Es geht also – auch wenn das Streiken bei der Beziehungsarbeit mit kranken und alten Menschen schwerer fällt als im Hafen oder bei der Post.

Worum geht es also wirklich, wenn die Forderung nach besserer Bezahlung ernst gemeint und glaubwürdig sein soll?

Erstens: „Systemrelevant“ ist kein Tarifmerkmal.  Die Abgeltung der besonderen Gesundheitsgefährdung einer Tätigkeit geschieht tariflich durch Gefahrenzulagen – dauerhaft oder anlassbezogen. Bei einer Ansteckungsgefahr müsste sie aber für alle Beschäftigten mit Kontakten zu Patienten und Pflegebedürftigen gelten, also zum Beispiel auch für Raumpflegekräfte und Alltagsbegleitungen. Bill Clinton fragte mal bei einem Besuch der NASA einen Raumpfleger, der im Keller mit einem Besen in der Hand am Fahrstuhl stand, was denn hier seine Aufgabe sei. Er antwortete: „Ich sorge dafür, dass Amerika zum Mond fliegen kann“ – auch er war also „systemrelevant“.

Zweitens: Die Bezahlung in der Pflege wird nicht von Regierungen oder Parlamenten beschlossen – höchstens die Steuerfreiheit für eine Sonderzulage -, sondern zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden in Tarifverträgen ausgehandelt. Wenn Politiker also glaubwürdig Pflegekräfte besser bezahlen wollen, dann müssen sie sich ehrlich machen: Sie müssen die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) und die Kommunalen Arbeitgeberverbände (VkA / in Hamburg AVH) beauftragen, den Gewerkschaften entsprechend höhere Angebote zu machen. Und im Bundestag müssen die Regierungsfraktionen das Tarifvertragsgesetz so ändern, dass die Allgemeinverbindlichkeit eines bundesweiten Sozialtarifvertrags endlich möglich wird.

Drittens: Recht haben heißt nicht, Recht kriegen. Die Pflegekräfte müssen sich stärker gewerkschaftlich organisieren. Moralische Appelle und entrüstete Reden sind verständlich und berechtigt, aber sie ersetzen keine organisierte Kampfkraft – letztlich bis zur Streikbereitschaft.  In der Pflege sind einschließlich des ambulanten Bereichs nur 20 Prozent der Beschäftigten tarifgebunden. Das ist in einer sozialen Marktwirtschaft ein sozialpolitischer Skandal und ein Bruch der Tarifautonomie im Grundgesetz.

Viertens: Wer Forderungen aufstellt, muss Bescheid wissen. Hier die aktuellen Bruttoverdienste gemäß ver.di-Tarifvertrag (TVöD) in der Intensivpflege im Krankenhaus und im Pflegeheim.

  • Eine Krankenpflegekraft in der Intensivpflege verdient gemäß TVöD-Tarif nach fünf Jahren (mittlere Stufe) 3.337 € / mit Fachweiterbildung 3.545 € + 40 € Schichtzulage oder 105 Euro Wechselschichtzulage + 46 € Zulage in der Infektionsstation, also zwischen 3.423 € und 3.696 € (Einstieg zwischen 3.089 € und 3.455 €. Hinzu kommt eine Jahressonderzahlung von 80 % eines Monatsgehalts. Das Jahreseinkommen beträgt insgesamt ohne oder mit Fachweiterbildung zwischen ca. 44.000 € und 47.000 €.
  • Eine Altenpflegekraft verdient gemäß TVöD-Tarif nach fünf Jahren 3.269 Euro + 40 Euro Schichtzulage oder 105 Euro Wechselschichtzulage, also zwischen 3.309 € und 3.374 €,(Einstieg zwischen 2.870 € und 2.925 €). Hinzu kommt eine Jahressonderzahlung von 80 % eines Monatsgehalts. Das Jahreseinkommen beträgt insgesamt etwa 42.000 €. Das gleiche verdient eine Pflegekraft auf einer Krankenhausstation.
  • Krankenpflegekräfte in der Intensivpflege haben ohne Tarifvertrag im Bundesdurchschnitt ein Jahreseinkommen von 39.600 € mit einer großen Spreizung nach Bundesländern, also zwischen 4.500 € und 7.500 € p.a. weniger als mit Tarifvertrag.
  • Altenpflegekräfte haben ohne Tarifvertrag im Bundesdurchschnitt ein Jahreseinkommen von 39.600 € mit einer großen Spreizung nach Bundesländern, also zwischen 4.500 € und 7.500 € p.a. weniger als mit Tarifvertrag.
  • Auszubildende in der Altenpflege erhalten nach Tarif im 1. Ausbildungsjahr 1.140 €, im zweiten Jahr 1.200 € und im letzten Jahr 1.300 €. Für tariflose Einrichtungen gibt es keine Vorgabe.

Also: Ein bundesweiter und allgemeinverbindlicher Tarifvertrag mit höheren Vergütungen muss her.  Wer als Politiker Pflegekräfte besser bezahlen will, muss erstens für umfassende Tarifbindung sorgen und zweitens die öffentlichen Arbeitgeberverbände TdL und VkA per Regierungsbeschluss auffordern, den Gewerkschaften ein aufgestocktes Angebot zu machen.

Fünftens:  Wenn Pflege durch höhere Gehälter mehr Geld kostet, muss das auch bezahlt werden. Die Bürgerversicherung und die Vermögenssteuer gehören wieder auf die Tagesordnung. Eine Einsparung bei anderen Sozialleistungen der Krankenkassen oder der Länder und Kommunen ist sozial ungerecht. Ein würdiger Lebensabend unserer älteren Mitmenschen sollte uns auch eine maßvolle Beitragserhöhung für die Pflegekasse wert sein.

Alle Beteiligten – Regierungen und Parlamente, Kranken- und Pflegekassen, Arbeitgeber und Gewerkschaften, Beitrags- und Steuerzahler*innen, Medien und auch die Beschäftigten selbst – sie alle sind jetzt in der Verantwortung, ganz konkret ihren eigenen Beitrag zu einer besseren Bezahlung in der Pflege zu leisten. Niemand sollte mit dem Finger auf andere zeigen. Alle stehen in einer Bewährungsprobe für die Glaubwürdigkeit.

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Quellen:

https://www.oeffentlichen-dienst.de/entgelttabelle/tvoed-p.html

Entgeltgruppe P 9, mittlere Stufe 4, Pfleger*in mit Fachweiterbildung Intensivpflege: 3.545,70 Euro

https://www.stepstone.de/gehalt/Fachkrankenpfleger-schwester-Intensivpflege.html

Durchschnittsverdienst Fachkrankenpfleger*in Intensivpflege ca. 3.300 € (40.000 € p.a.)

Durchschnittsverdienst Altenpfleger*in im Pflegeheim 2.740 € (knapp 33.000 € p.a.)

Wolfgang Rose

April 2020

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