Bedingungsloses Grundeinkommen – eine Illusion

Namensbeitrag von Wolfgang Rose im Hamburger Abendblatt: „1.000 Euro monatlich für jeden – und das auch ohne Arbeit? Diese Forderung ist weder realistisch noch sozial gerecht“

Schafft das bedingungslose Grundeinkommen das Paradies auf Erden? Die alte Idee aus dem linksalternativen Milieu wird heute auch von Siemens-Chef Joe Kaeser, dem Drogeriekönig Götz Werner und dem Mainstream-Ökonomen Thomas Straubhaar gefordert. Im Abendblatt-Interview schwärmte er, „wunderbar, wenn wir statt 40 nur noch 20 Stunden in der Woche arbeiten müssten“. Dem Magazin „Capital“ sagte Straubhaar: „Das Grundeinkommen ersetzt den heutigen Sozialstaat im Prinzip vollständig. Gesetzliche Altersabsicherung, Krankenversicherung und Arbeitslosenversicherung werden abgeschafft. Wer etwas haben möchte über das Grundeinkommen hinaus, muss sich selbst privat versichern.“

Für Straubhaar ist das bedingungslose Grundeinkommen „Radikal gerecht“, so sein Buchtitel. In Wirklichkeit ist es eine Illusion und Mogelpackung. Auch wenn es funktionieren würde, stellen sich Fragen: Wie solidarisch ist eine Gesellschaft, in der das Volkseinkommen von allen Erwerbstätigen erwirtschaftet wird, aber jeder persönlich entscheiden darf, nicht dazu beizutragen, obwohl er es könnte? Wie soll der Zusammenhalt funktionieren in einem Gemeinwesen, in dem die einen davon leben, was die anderen erarbeiten? Wofür brauchen Wohlhabende, ja Millionäre, monatlich 1000 Euro vom Staat? Ist das sozial gerecht?

Neben diesen Fragen nach der gesellschaftlichen Solidarität hält das bedingungslose Grundeinkommen auch einer ökonomischen und sozialen Analyse nicht stand.
Sozialstaat und Sozialversicherung kosten etwa eine Billion Euro – die gleiche Summe wird zugleich für ein bedingungsloses Grundeinkommen von 1000 Euro für alle benötigt. Beides geht also nicht. 1000 Euro monatlich für alle, vom Baby bis zum Greis, ohne Erwerbsarbeit – dafür keine Rente, kein Arbeitslosengeld, keine Pflegepauschalen usw.? Das Grundeinkommen sichert gerade ein Leben knapp an der Armutsgrenze, und das nur, solange man fit und gesund ist. Wie viele Menschen zusätzlich zum Grundeinkommen arbeiten würden, ist schwer einzuschätzen. Arbeit ist ja nicht nur Einkommenserwerb, sondern auch Teilhabe und Selbstverwirklichung, und zwar umso mehr, je besser Arbeitsbedingungen, Mit- und Selbstbestimmung sowie gerechte Entlohnung sind – desto mehr die Arbeit also „gute Arbeit“ ist. Für die Unternehmen wäre es ein riesiger Lohnkostenzuschuss, denn sie würden die Gehälter mit dem Argument, jeder hätte ja schon 1000 Euro, entsprechend kürzen.

Die meisten Befürworter eines Grundeinkommens wollen die Menschen vor den Folgen der Digitalisierung schützen. Aber ist das wirklich realistisch? Selbstverständlich können technische Innovationen die Arbeitsproduktivität enorm steigern, so wie in vergangenen Jahrhunderten der Ochsenpflug, die Windmühle, die Dampfmaschine, die Elektrizität, das Fließband und seit 50 Jahren die Computertechnik. Arbeit ist heute zigfach produktiver als noch vor 100 Jahren. Trotzdem arbeiten heute in Deutschland mehr Menschen als je zuvor. In diversen neuen Branchen, aber vor allem im Bereich der personenbezogenen Dienstleistungen gibt es sehr viel nötige und sinnstiftende Arbeit in Erziehung, Bildung, Pflege, Gesundheit, Freizeit und Kultur. Im Übrigen zeigen Umfragen das Interesse an kürzerer Arbeitszeit, wie auch die aktuelle Forderung der IG Metall nach der 28-Stunden-Woche als Wahloption zeigt.

Wenn jemand ein Einkommen ohne Arbeit bezieht, dann tut er das niemals „bedingungslos“, sondern immer zu der Bedingung, dass andere arbeiten, und zwar für ihn mit. Tatsächlich werden ja schon heute viele Menschen ohne eigene Erwerbsarbeit versorgt: Kinder, Jugendliche, Kranke, Erwerbsgeminderte, Arbeitslose, Menschen in Eltern- oder Pflegezeit und Senioren. Das ist ein großer zivilisatorischer Fortschritt durch unseren Sozialstaat, und zwar auf der Basis einer ökonomischen Grundbedingung: Wer es kann, der trägt zu dieser Solidargemeinschaft bei, durch Arbeit, Steuern und Sozialabgaben. Und weil das so ist und gar nicht anders geht, erwächst daraus auch ein ganz grundlegender ethisch-moralischer Anspruch, den wir wechselseitig an uns stellen und der von den meisten Menschen selbstverständlich geteilt wird: Wer arbeiten und dadurch zur Solidargemeinschaft beitragen kann, der soll es auch tun.

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