Primarschule: SPD beginnt umzudenken

Ist dies der Anfang vom Ende der zuweilen fast kindisch anmutenden Krittelei der SPD an der Schulreform? Die AfB, die Arbeitsgemeinschaft der Pädagogen in der SPD, wählte mit Ex-Schulsenatorin Rosemarie Raab eine der engagiertesten Vertreterinnen gemeinsamen Lernens zu ihrer Vorsitzenden. In ihrer Amtszeit gründete sie unter anderem die meisten Hamburger Gesamtschulen, führte die integrativen Regelklassen und die Verlässliche Halbtags-Grundschule ein.

Raab tritt die Nachfolge der im November vergangenen Jahres zurückgetretenen Vorsitzenden Christiane Albrecht an. Raab war von 1982-87 Bürgerschaftsabgeordnete und von 1987 bis zu ihrem Rücktritt im April 2000 Hamburgs Schulsenatorin.

Raab betonte in ihrer Rede, dass sie trotz einer bekanntermaßen positiven Bewertung der Primarschule, die nach dem Konzept der beiden unter „Rot-Grün“ gestarteten Hamburger Modellschulen konzipiert sei, für den AfB-Vorsitz kandidiere. Entscheidend sei, dass man zwischen der Rolle der Partei und der Rolle der Fraktion gerade in Oppositionszeiten zu unterscheiden habe. Während die Partei die langfristige Programmatik weiterentwickeln müsse, kämpfe die Fraktion im politischen Tagesgeschäft um mediale Aufmerksamkeit und Gewinn künftiger Wählergruppen. Beides müsse aber am Ende zusammengehen.

Ihr Interesse sei, nach einem weiteren Fortschreiten der Reform, nach weiteren auch schulgesetzlichen Konkretisierungen und den noch ausstehenden Standortentscheidungen zu einer erneuten inhaltlichen Bewertung innerhalb der Partei zu kommen.

Es sei, so Raab, „schwer nachvollziehbar, wie man eine Grundsatzkritik am längeren gemeinsamen Lernen in den Klassenstufen 5 und 6 verbinden will mit der Programmatik des Hamburger Grundsatzprogramms der Bundes-SPD, die da lautet: ‚Über Bildungswege und Bildungschancen wird in unserem Bildungssystem zu früh entschieden. Wir werben daher für ein Schulsystem, in dem Kinder so lange wie möglich zusammen und voneinander lernen‘.“ Das würde aber eine Kritik an fehlenden weitergehenden Reformschritten oder an einzelnen konzeptionellen Elementen der Primarschule keinesfalls ausschließen, ebenso wenig wie am Zeitplan oder an Sorgfalt und Umsicht bei der Umsetzung.

Als neue Vorsitzende will Raab die bildungspolitische Diskussion inhaltlich wie auch personell ausweiten. Denn die Diskussion dürfe, so Raab, nicht nur fokussiert werden auf die Frage der Schulstruktur der Sekundarstufe I. Dies würde den Problemen des Bildungswesens insgesamt nicht gerecht. Das Hauptproblem sei nach Raab die armutsbedingten Bildungsbenachteiligung. „Sie drückt sich im Scheitern von Kindern schon beim Erwerb grundlegender Kompetenzen, erst recht beim Erwerb höherer Bildungsabschlüsse aus.

Raab: „Betroffen sind rund 30 Prozent der Hamburger Schülerinnen und Schüler. Wir wissen aus PISA, dass die Spannweite der sozialen Unterschiede zwischen armen und reichen Familien nirgends in der Republik größer ist als in Hamburg. Wir wissen, dass sich das Problem der Bildungsarmut auf bestimmte Stadtteile konzentriert, was allein schon verhindert, dass eine „Schule für Alle“ auch überall zu einer wirklichen leistungsmäßigen Mischung der Schülerschaften führen könnte. Und wir wissen, dass es vor allem Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund betrifft.“

Diese Erkenntnisse seien selbst zur Hamburger CDU durchgedrungen. Es sei notwendig zu erkennen, dass das Ziel eines sozial gerechten Bildungswesens insgesamt nur zu erreichen ist, wenn die Lösung nicht allein in der Reform des Schulwesens gesucht werde. Auch die von der SPD angestrebte „Schule für Alle“ würde nicht alle Probleme des Bildungswesens lösen. „Eine banale Erkenntnis, aber zugleich Herausforderung, das gesamte Bildungswesen und seine Abhängigkeiten von anderen Politikfeldern in den Blick zu nehmen.“

Bildungspolitik allein könne die familiären Benachteiligungen nicht kompensieren. „Dazu bedarf es des Zusammenwirkens aller Politikfelder, beispielsweise der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, der Sozialpolitik, der Finanzpolitik, der Wohnungsbaupolitik und vor allem einer koordinierenden sozialen Stadtentwicklungspolitik.“ Aufgabe der Bildungspolitik ist es aber, alles zu vermeiden, was strukturell und inhaltlich dazu führe, die familiäre Benachteiligung noch zu verstärken.

Dieses sei, so Raab abschließend, das Kriterium, nach dem auch die Schulstrukturreform insgesamt zu bewerten sei. Sie berge sowohl Chancen als auch Risiken.

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