2.700-Euro-Taxi: Lügt Staatsrat Wersich?

TAXI.jpegDie nächtliche Taxifahrt für 2.700 € schlägt erhebliche Wellen. GAL-Jugendsprecherin Christiane Blömeke wirft Staatsrat Wersich vor, in diesem Zusammenhang die Unwahrheit gesagt zu haben. Außerdem haben ihre Recherchen ergeben, dass die Betreuung der Jugendlichen völlig planlos verlief – einer durchlief in 18 Monaten acht verschiedene Stationen!

Der Fall eines Jugendlichen, der mit dem Taxi in eine Brandenburger Jugendhilfeeinrichtung gefahren wurde, birgt nach Meinung der jugendpolitischen Sprecherin der GAL-Bürgerschaftsfraktion Christiane Blömeke wesentlich mehr Brisanz, als die hohen Kosten der Taxifahrt.

Auf Grundlage von Informationen, die der GAL-Fraktion vorliegen, ist die Aussage von Staatsrat Wersich unwahr, dass der Jugendliche untergetaucht sei, mitten in der Nacht aufgegriffen wurde und deswegen in dieser besonderen Situation eine Taxifahrt die einzige Alternative gewesen wäre. Vielmehr bat der Jugendliche am Abend um Aufnahme im Kinder- und Jugendnotdienst, wurde dort aber auf Anweisung des Familieninterventionsteam abgewiesen.

Blömeke: „Der Junge war also keineswegs untergetaucht und es ist nicht zu akzeptieren, dass die Behörde hier mit einer falschen Darstellung der Sachlage versucht die Öffentlichkeit zu täuschen und die Taxifahrt zu rechtfertigen. Wenn der Jugendliche eine Nacht im KJND geschlafen hätte, dann wäre ohne weiteres eine durchdachte Lösung möglich gewesen und die Taxifahrt überflüssig gewesen.“

Außerdem zeigt der Fall des Jugendlichen deutlich das Versagen der Feuerbergstraße als jugendpädagogische Einrichtung und ist ein Paradebeispiel für eine völlig ziellose Hilfeplanung der Fachbehörde und des Familieninterventionsteams FIT.

Blömeke: „Die Verschwendung von 2.700 Euro für Taxifahrten ist das eine, aber wesentlich gravierender ist doch die Verschwendung von 1,6 Millionen Euro im Jahr für eine Einrichtung, die nicht tauglich ist Jugendlichen zu helfen und dennoch von der Sozialsenatorin Schnieber-Jastram krampfhaft gehalten wird.“

Nach Ansicht der GAL-Fraktion zeigt sich anhand dieses Fallbeispiels, welche katastrophalen Folgen die Jugendpolitik des CDU-Senats hat, die im Umgang mit schwierigen Jugendlichen einseitig auf das geschlossene Heim Feuerbergstraße setzt und zusätzlich immer noch eine völlig unzureichende Hilfeplanung betreibt. Das ist aus Sicht der GAL-Fraktion besonders erschreckend, da die mangelhafte Hilfeplanung bereits im Dezember 2005 durch das 150.000 Euro teure Gutachten von Prof. Bernzen kritisiert und als rechtswidrig bezeichnet wurde.

Blömeke: „Dieser Senat handelt weiterhin rechtswidrig und die Folgen müssen die Jugendlichen und die Steuerzahler tragen.“

Der Hintergrund:

18 Monate Einrichtungsmarathon statt Kontinuität – die Unterbringungsstationen des Jugendlichen

Station1
Im Januar 2005 kommt der Jugendliche in eine Wohngruppe in Wilhelmsburg, nachdem zuvor etliche andere Unterbringungen in Jugendhilfeeinrichtungen vorzeitig beendet wurden. In der Wilhelmsburger Wohngruppe fügte er sich gut ein und fasste Vertrauen zum dortigen Betreuer.
Dennoch wurde diese Betreuung durch das FIT aufgelöst, nachdem der Junge im Juni 2005 bei einem Ladendiebstahl erwischt wurde. Das FIT stellte daraufhin einen Antrag auf geschlossene Unterbringung in der Feuerbergstraße. Eine gutachterliche Stellungnahme des jugendpsychiatrischen Dienstes attestierte dem Jungen, dass er für eine geschlossene Unterbringung nicht geeignet sei, da eine große Gefahr von Fremd- und Selbstverletzung gegeben wäre.
Der zuständige Familienrichter entschied daraufhin gegen eine Einweisung in der GUF und für eine erneute Unterbringung in der Wilhelmsburger Wohngruppe.

Station 2
Auf Intervention des FIT wurde der Jugendliche jedoch nach drei Tagen aus der bewährten Wohngruppe in Wilhelmsburg herausgenommen und in einer anderen Einrichtung untergebracht. Mit diesem Wechsel kam der Junge nicht zurecht und wurde bereits nach einer Woche im Juli 2005 erneut durch eine Straftat polizeilich auffällig.

Station 3
In der Folge wurde der Jugendliche festgenommen und die Einweisung in die Feuerbergstraße durchgesetzt.
Dort wurde er über einen längeren Zeitraum isoliert von anderen Jugendlichen von Securitas-Mitarbeitern bewacht.

Station 4
Bei einem begleiteten Ausgang konnte der Jugendliche entweichen und tauchte vier Wochen unter. Während dieser Zeit entwickelte er feste Vorstellungen für seine Zukunft. Er nahm Kontakt auf zu einer Berufsorientierungsmaßnahme, die ihm eine Aufnahme in Aussicht stellte.

Station 5
Im April 2006 kehrte der Jugendliche freiwillig – in Begleitung einer Journalistin und seines ehemaligen Betreuers der Wilhelmsburger Einrichtung – in die Feuerbergstraße zurück. Er knüpfte seine Rückkehr an die Bitte, während seiner Restzeit in der GUF Ausgang zu erhalten, um die Berufsorientierungsmaßnahme zu beginnen. Gleichzeitig erklärte er öffentlich, dass die Zeit in der Feuerbergstraße für ihn schrecklich war. Er fühlte sich, nach eigenen Angaben, „wie ein Tier im Käfig“.
Auf die Wünsche des Jugendlichen wurde in der GUF nicht eingegangen. Vielmehr wurde er erneut isoliert, es kam zu heftigen Auseinandersetzungen und er wurde für mehrere Tage in die psychiatrische Abteilung eines Krankenhauses verbracht, wo er auch Psychopharmaka erhielt. Zurück in der GUF wurden ihm weiterhin Psychopharmaka verabreicht, bis zu dem Zeitpunkt, als letztendlich die Maßnahme in der Feuerbergstraße wegen mangelnder pädagogischer Erfolge beendet werden.

Station 6
Es kam zu einer Verlegung in die Jugendhilfeeinrichtung Frostenwalde in Brandenburg – eine Einrichtung, die der Vermeidung von Untersuchungshaft dient. Da es bei dem Jugendlichen nicht um eine Abwendung der Untersuchungshaft ging und kein richterlicher Unterbringungsbeschluss vorlag, wurde seitens der Einrichtung Frostenwalde deutlich gemacht, dass der Jugendliche sich dort nur „aufhalten“ könne. Eine Beschulung oder Ausbildung sei dort ebenso wenig möglich wie eine längerfristige Unterbringung. Eine Hilfeplanung wurde seitens des FIT nicht erstellt. Nach seiner Verlegung erfolgte in Frostenwalde aufgrund der Einnahmen von Psychopharmaka in der Feuerbergstraße zunächst ein Medikamentenentzug, der etwa 1 ½ Wochen dauerte.
Im Juni 2006 fand ein Gerichtstermin in Hamburg statt, zu dem der Jugendliche aus Frostenwalde geholt wurde. Während der Gerichtsverhandlung erklärte der Jugendliche, dass er keinesfalls wieder in die Einrichtung in Brandenburg zurückwolle, da er dort nicht zur Schule gehen kann und sich in der Gruppe Jugendlichen zur U- Haft Vermeidung nicht wohl fühle.
Daraufhin suchte er Jugendliche mit seinem ehemaligen Betreuer aus der Wilhelmsburger Einrichtung, der um Hilfe gebeten wurde, den Kinder- und Jugendnotdienst auf und bat um Aufnahme. Doch nach Rücksprache mit dem FIT wurde dem Jugendlichen dort die Aufnahme verweigert, da er offiziell bereits in der Einrichtung in Frostenwalde (Nähe polnische Grenze) untergebracht ist.
Einige Stunden später wurde der Jugendliche mit einem Taxi in die Einrichtung in Brandenburg gefahren, da laut Auskunft der Sozialbehörde (siehe Presseberichte, Aussagen der Pressesprecherin der BSG und des Staatsrates) keine Einrichtung in Hamburg bereit gewesen sei, ihn aufzunehmen. Tatsächlich war im gesamten Zeitraum die Wohngruppe in Wilhelmsburg bereit, den Jugendlichen aufzunehmen.
Auch im Juli 2006 liegt der Einrichtung in Frostenwalde kein Hilfeplan zum weiteren Verbleib des Jugendlichen vor.

Station 7
Ca. Anfang August 2006 wird der Jugendliche aus Frostenwalde wieder nach Hamburg geholt und in einer Wohnung mit stundenweiser Betreuung in Rahlstedt untergebracht.

Station 8
Nach knapp einem Monat wird der Jugendliche Ende August 2006 erneut in einer anderen Wohnung, nun in einem Hochhaus in Jenfeld, alleine wohnend untergebracht. Auch hier wird er stundenweise von wechselnden Sozialarbeitern betreut.

Fazit:

Es ist aus Sicht Blömekes unglaublich, wie planlos die Fachbehörde unter Senatorin Schnieber-Jastram hier auf Kosten des Jugendlichen vorgegangen ist. Dieser Jugendliche wurde zusammenhangslos in diversen Einrichtungen untergebracht, anstatt ihm Kontinuität zu vermitteln. Eine zielgerichtete Hilfeplanung gab es augenscheinlich nicht, stattdessen wurde er von Einrichtung zu Einrichtung geschoben und in der Feuerbergstraße durch isolierende Maßnahmen zusätzlich geschädigt.

Während die Sozialbehörde argumentierte, dass es in Hamburg keine geeignete Einrichtung geben würde, gab es gleichzeitig immer wieder das Angebot der Wilhelmsburger Wohngruppe den Jugendlichen aufzunehmen. Doch hier hat das FIT seine Zustimmung verweigert. Stattdessen wurde der Minderjährige per Taxi in der Nacht nach Brandenburg verfrachtet, obwohl es dort für den Jungen keine Perspektive gab. Als „Spitze des Planungschaos“ bezeichnet Christiane Blömeke abschließend die jetzige Unterbringung des mittlerweile 17-jährigen Jugendlichen, der nun alleine in einem Hochhaus im sozialen Brennpunkt Jenfeld wohnt.

Blömeke: „Jugendliche brauchen langfristige Bezugspersonen und keinen Wanderzirkus von Einrichtung zu Einrichtung mit nächtlichen Taxifahrten durch die halbe Republik oder isolierten Unterbringungen in Hochhäusern in sozialen Brennpunkten. Der ganze Vorfall beweist doch, dass Senatorin Schnieber-Jastram die Führung ihrer Behörde völlig entglitten ist und sie als Jugend- und Familiensenatorin untauglich ist.“

Lesen Sie hierzu auch einen Kommentar von Kaia Kutter in der TAZ von morgen.

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